Interview mit den Festivalleitern Andreas Göbel und Rainer Pöllmann
25 Jahre Ultraschall Berlin – was hat sich verändert? Wofür steht das Festival noch heute?
„Die Welt der zeitgenössischen Musik hat sich in den zurückliegenden 25 Jahren spürbar verändert. Neue Ästhetiken, Produktionsmöglichkeiten oder Sichtweisen sind hinzugekommen, andere wiederum verschwunden. Schulen oder Richtungen sind heute nur noch in Umrissen erkennbar, denn die Handschriften oder Absichten sind individueller geworden. Rein klangliche Kompositionen bestehen so neben expliziten Kommentaren zu politischen oder gesellschaftlichen Fragestellungen. Die Digitalisierung verändert nicht nur das Entstehen von neuer Musik, sondern ihre Form im Grundsätzlichen. Bei all diesen Umbrüchen und im Anspruch, wesentliche Teile davon abzubilden, ist sich Ultraschall Berlin in all den Jahren treu geblieben. Das Festival war und ist ein Forum für zentrale Entwicklungen in der zeitgenössischen Musik und zeigt neue Musik in all ihrer Vielfalt.
Da gab und gibt es große Namen wie Helmut Lachenmann oder Salvatore Sciarrino. Und junge, die wir auf ihrem Weg zum Ruhm begleitet und unterstützt haben, wie Simon Steen‐Andersen oder Enno Poppe. Und natürlich gab es auch Hoffnungen, die sich nicht eingelöst haben.
Offen und neugierig zu sein, das war von Anfang an das Bestreben des Festivals, unvoreingenommen, aber mit einem klaren Qualitätsbewusstsein und dem Mut für Ungewohntes. Spannend ist es, im Rückblick auf ein Vierteljahrhundert den Wandel von Perspektiven oder auch Dramaturgien nachzuverfolgen. Das hat uns jung gehalten.“
Welche Verbindungen knüpft das Festival in der Ausgabe 2024?
„Auch der aktuelle Jahrgang von Ultraschall Berlin präsentiert neue und neueste Werke, darunter viele Ur‐ und Erstaufführungen, die neben exemplarischen Arbeiten aus bald achtzig Jahren Nachkriegsavantgarde stehen. Dadurch entwickelt sich ein besonderer Dialog und ein erweiterter Rezeptionsraum. Im Mittelpunkt von Ultraschall Berlin 2024 stehen zentrale Ensembles, Solistinnen und Solisten. Die Sopranistin Sarah Maria Sun etwa präsentiert einen Liederabend mit dem Titel „Family Business“, der gerade nicht das Idyll der Familie zeigen soll, sondern einen Blick in diesbezügliche Abgründe wagt. Der brasilianisch‐schweizerische Komponist und Performer Ricardo Eizirik setzt sich mit von Gewalt geprägten Jugendkulturen auseinander. Darüber hinaus stellt sich das Trio Catch in neuer Formation vor und das spannende Ensemble MAM.manufaktur für aktuelle musik gibt sein Debüt bei Ultraschall Berlin mit vier denkbar unterschiedlichen Werken.“
In welche klanglichen Welten können wir diesmal einsteigen?
„Ultraschall Berlin stellt auch 2024 Großbesetzungen neben kammermusikalische oder solistische Aufführungen. So präsentiert auch dieser Festivaljahrgang drei Orchesterkonzerte mit den beiden Orchestern der ROC Berlin. Das Rundfunk‐Sinfonieorchester Berlin spielt unter seinem Chefdirigenten Vladimir Jurowski, während das Deutsche Symphonie‐Orchester Berlin traditionell das Eröffnungs‐ und Abschlusskonzert unter Lin Liao bzw. André de Ridder gibt. Daneben vollziehen Elnaz Seyedi und Ehsan Khatibi in einem multimedial‐kammermusikalischen Projekt eine eigene Spurensuche durch das Ungreifbare der kollektiven Erinnerung im Iran. Gordon Kampe überführt barocke Lyrik, die von Liebe und Zerstörung erzählt, in einen hochemotionalen, ganz heutigen Zyklus. Martin Schüttler schreibt Musik zwischen Virtuosität, Technik, Drag und Queerness. Und ein mehrere Jahre verfolgtes Großprojekt geht mit Kompositionen des früh verstorbenen Jean Barraqué in sein Finale. Unterschiedlicher können kompositorische Ansätze nicht sein – zusammen bilden sie die Vielfalt zeitgenössischer Musik.“