18.01.2017, 19 Uhr. Das Foyer des Großen Rundfunksaal des rbb füllt sich. Anlass ist das Einstiegskonzert des Ultraschall Festivals Berlin. In den nächsten fünf Tagen wird es am Heimathafen, im Radialsystem und im Haus des Rundfunks nur so von neuer Musik strömen.
Neue Musik ist im wahrsten Sinne des Wortes sehr neu und ungewohnt für mich. Meine erste Chance mich mit der neuen Musik anzufreunden, hatte ich vor vier Tagen bei der ersten Leseprobe des Orchesters. Ich war sehr beeindruckt, da ich niemals nur vier Tage vor der Aufführung mit dem Proben beginnen könnte. Aber ich könnte auch in keinem Orchester spielen. Die Gründe dafür liegen ganz klar auf der Hand: 1. beherrsche ich kein Instrument gut genug und 2. halte ich mich ungern an genaue Anweisungen, da ich lieber mein eigenes Ding mache, weshalb ich alles durcheinander bringen würde.
Die Noten der neuen Musik bestehen aus unzähligen Taktwechseln, in denen ich mich komplett verlieren würde. Elsie Bedleem, die Solo-Harfenistin des Deutschen Symphonie-Orchesters hat natürlich kein Problem damit, die Takte einzuhalten. Im Gespräch mit ihr erfahre ich, dass sie die ganze Zeit beim Zählen ist, um nicht den Faden zu verlieren. Da sie so viel zählen muss, fällt es ihr schwer, damit aufzuhören. Überall muss sie zählen: in der U-Bahn, beim Laufen, sogar beim Einschlafen. Sie ist sogar der Meinung, dass sie vom Zählen träumt. Doch selbst wenn sie sich in diesem Konzert verzählt hat, was sicherlich nicht so war, hätte ich es nicht heraus hören können.
Neue Musik klingt in meinen Ohren oftmals so, als hätte der/die Komponist*in ausgelost, welche Töne und Geräusche aufeinander folgen. Kein Wunder, denn bei den Kompositionen wird häufig mit Zufalls-Konstruktionen gearbeitet. Das ganze Konzert über hatte ich Schwierigkeiten damit, mein Zeitgefühl zu behalten. Obwohl es sehr anstrengend war, der Musik zuzuhören, hatte sie einen entspannenden Effekt auf mich. Es fiel mir sehr schwer, mich auf das Orchester zu konzentrieren, da die Musik eine Art Trance-Zustand in mir auslöste.
Die Musik erzeugte in mir ein Gefühl, welches mich Raum und Zeit vergessen ließ. Oftmals assoziierte ich Aliens, Weltraum, Sirenen oder Horrorfilme mit den sphärischen Klängen. Mein Bezug zur Realität wurde während des Konzerts quasi durchgewaschen. Nach dem Konzert brauchte ich eine Weile, um wieder in die Realität – falls es eine gibt – zurückzufinden. Die Gedanken der Komponisten, welche hinter den Stücken steckten, habe ich oft nicht herausgehört, da ich in meiner eigenen Gedankenwelt versunken war.
So, wie im letzten Stück “Interview avec. D. pour Monsieur Croche et Orchestre” zitiert wurde: “Ich sehe nicht, was Sie sehen und ich höre nicht, was Sie hören”, hat jeder von uns seine eigene Wahrnehmung für die Welt, das Leben und die Musik.
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