Das Eröffnungskonzert war mein erster Tag beim Ultraschall Festival und gleichzeitig mein erster bewusster Kontakt mit neuer Musik. Ich war, muss ich gestehen, ein bisschen voreingenommen von der Musik des Avantgarde, da meine Eltern mich manchmal auch zu moderneren Konzerten mischleppten. Meine Einstellung zur neuen Musik war bisher, dass sie eine anstrengende, nicht unbedingt wohltuende ist. Im Endendeffekt saß ich damals neben meinen Eltern, beide Hände auf den Ohren, meine Augen verschlossen und wartend, wann dieses unendliche Leiden endlich aufhören würde. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, hat damals die Musik bei mir genau das erreicht, was sie vermitteln sollte – radikale Emotionalität. Musik konfrontierte mich zum ersten Mal mit harten Gefühlen.
Als ich nun die Uraufführung „story teller“ von Johannes Kalitzke hörte, begann sich mein Verständis für neue Musik zu ändern. Eines will ich schon mal vorwegnehmen: Was mir sehr an neuer Musik gefällt, ist, dass unübliche Instrumente auf die Bühne kommen, welche in neuesten Kombinationen erklingen. So war ich sehr erstaunt, als ein Bass-Saxophon, ein Akkordeon gefolgt von einer E-Guitarre auf die Bühne zum symphonischen Orchester kamen. Dementsprechend war ich hoher Erwartung, was ich hören würde. Hilfreich fand ich das vorangestellte Inteview mit dem Komponisten, in welchem die Intention des Stückes erläutert wurde. Kalitzke sagte, dass er einige Bilder (und vor allem deren Konzept) des Photographen Tim Walker als Inspirationsquelle genommen hat. Das Spiel mit dem Verhältnis von Orchester und Solisten ist dasselbe wie das von Hintergrund und Model auf dem Bild. Das Solo-Cello würde also im Laufe des Werks in den „Tutti-Apparat“ eingebunden, so Kalitzke. Die Grenzen von Vorder- und Hintergrund würden sich zunehmend auflösen. Für mich war es sehr spannend, diese Entwicklung zu verfolgen. Aber auch wie dies umgesetzt wurde! Die tiefere Botschaft, wie das Individuum (der Solist Johannes Moser) in der breiten Masse des Kommerz (Orchester) untergeht, war für mich klanglich klar hörbar.
So war das Cellosolo mit nahezu spätromantischer Begleitung des Orchesters (durch die Hörner unterstützt) gut hervorgehoben. Durch die Eingliederung der gesampelten Geräusche von Produkten des Kommerz, wuchs das Orchester klanglich an. Einige „Themenfetzen“ wanderten durch die Instrumentengruppen, als wären sie Gedankenanfänge, welche sich im „Getummel“ der Klänge nicht zu einem kompletten Gedanken formen könnten. Auch der Orchester-Apparat wurde mit Hauen auf die Trompeten- und Posaunenansätze, dem Klopfen auf den Harfencorpus und dem Tremolo der Streicher immer percussiver und pulsierender. Ich hörte also förmlich, wie die Maschinen der modernen Zeit an dem Individuum rütteln! Das führt mich zu Johannes Moser, dem Cellosolisten, welcher seine Aufgabe mit größter Sorgfalt und zugleich sehr gefühlvoll hervorragend meisterte. Das fiel besonders auf, als Kalitzke wegen eines defekten Monitors für die Samples, abbrach und nochmal von vorne begann. So fiel mir auf, wie exakt Moser die scheinbar undefinierte Melodie wiedergab.
Mich hat dieses Werk, anders als bei vielen anderen Stücken, inspiriert. Ich bin selten einem Stück mit so viel musikalischen Überraschungen begegnet.
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