Die Stimmung ist gespannt im ausverkauften Saal im Radialsytem am Samstagabend. Zu den hektischen Klängen, erzeugt von mehreren Musikern auf der Bühne, gesellt sich ein kaum erträgliches Rauschen. Das Klanggemisch wird lauter, steigert sich immer mehr und verstummt plötzlich ganz. Der Saal atmet auf. Elektronik und Instrumente sind ein Kontrast, mag man zunächst denken. Agatha Zubel und Cezary Duchnowski beweisen das Gegenteil. Die Sängerin und Komponistin und der Pianist, Komponist und Programmierer aus Polen arbeiten seit 15 Jahren zusammen. In allen fünf ihrer Kompositionen, die im Radialsystem zu hören sind, mischen sie elektronische Soundeffekte mit Instrumentenklängen. Es entsteht kein Gegensatz, stattdessen verweben die Klänge miteinander.
In verschiedenen Besetzungen spielt das Ensemble KNM Violine, Violoncello, Klavier, Keyboard, Schlagzeug und Querflöte. Es werden die unterschiedlichsten Spieltechniken verwendet. Die Cellistin schlägt mit ihrem Bogen auf die Saiten oder hält ihr Instrument wie eine Gitarre und zupft. Die Perkussionistin bearbeitet die Saiten im geöffneten Flügel mit einem Hammer. Die Flötistin erzeugt klanglose Geräusche auf ihrer Querflöte, indem sie ihren Luftstrom reguliert.
Teilweise fügt Duchnowski fremde Geräusche wie eine knarrende Tür, Wassergeplätscher, Rauschen oder Knistern ein. Außerdem nimmt er manchmal Sequenzen der Musiker auf und spielt diese wiederholt ab. Durch mehrere Lautsprecher, die überall im Saal verteilt sind, entsteht ein Rundumklang. Überall scheint etwas zu passieren, die Musik kommt von allen Seiten.
Nur eine der Kompositionen ist mit Gesang – „Not I”. In dem Stück nach einem Roman von Samuel Beckett geht es um eine 70-jährige Frau, die ihr gesamtes Leben lang stumm war. Nun benutzt sie das erste Mal ihre Stimme. „Der Prozess, wie eine Stimme geboren wird, fasziniert mich”, sagt mir Agatha Zubel im Interview. „Du fühlst die Resonanz deines Körpers, du fühlst die Stimmbänder. Du entdeckst deine Stimme wie ein Wunder.” Diesen Prozess verdeutlicht Zubel sowohl sprachlich, als auch stimmlich. Sie beginnt das Stück krächzend und nach Luft schnappend, im weiteren Verlauf erkundet sie ihre Stimme, indem sie flüstert, schreit, spricht und singt.
Ursprünglich hatte Agatha Zubel mit Singen nichts am Hut, erzählt sie. Ihr großer Traum war es, zu komponieren und diesen Traum setzte sie in die Tat um. Erst während des Studiums änderte sich das. „Damals schrieb ich ein Stück mit Gesang. Es war nicht sehr traditionell. Für die Präsentation in der Uni erklärte sich niemand bereit, mein Stück einzustudieren. Die anderen fanden es zu seltsam und schwierig, also war ich gezwungen, es selbst zu singen.” Von da an schrieben Zubels Studienkollegen Stücke für sie und baten sie, diese zu interpretieren. Sie entschied sich, professionellen klassischen Gesangsunterricht zu nehmen. Ihre Situation, gleichzeitig Komponistin und Sängerin zu sein, beschreibt sie als unglaublich praktisch. Denn so kennt sie beide Seiten. Das Publikum quittierte ihren Auftritt mit großer Begeisterung.
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