Ihre Kunst stellt für die Komponistin Yu Kuwabara ein Weg zur Selbstverortung dar: »Mein musikalisches Schaffen ist ein Versuch, die Frage zu stellen, wer ich bin. Seit einigen Jahren forsche ich zu traditioneller japanischer Musik, Kunst und Geistesgeschichte, um meine Ursprünge und meine eigene Position zu fassen«, hat sie einmal erklärt. Zu diesem Zweck arbeitet sie mit unterschiedlichen Künstlern Japans aus verschiedenen Disziplinen zusammen: mit No-Schauspielern, mit einem Rakugo-Erzähler, einem buddhistischen Gesangsensemble und anderen Spezialisten traditioneller japanischer Musik, etwa mit Interpreten der Shakuhachi, der seit Jahrhunderten die Musik Japans prägende Bambuslängsflöte. Die Perspektive auf diese Tradition ist bei Yu Kuwabar immer eine individuelle, eine aus dem 21. Jahrhundert, wie sie betont: »In meinen Kompositionen untersuche ich meine eigene musikalische Sprache zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ebenso wie zwischen Japan und der Welt. Ich versuche dabei immer zu reflektieren, was die Essenz und die Natur japanischer Musik ist. Ich habe noch keine definitive Antwort finden können. Aber durch meine Erfahrungen bei der Erforschung japanischer Musik und in der Zusammenarbeit mit traditionellen Musikern habe ich herausgefunden, dass Klang so funktioniert wie Energie, die sich biegen und dehnen lässt, sowohl expandieren als auch zusammenschrumpfen kann.«
Eine Konsequenz dieser dialektischen Vorgehensweise ist das Ausloten der Räume zwischen der eigenen aktuellen Position, dem eigenen Zugriff und der Überlieferung. Als geradezu paradigmatisch für ihr Schaffen kann der Titel des Ensemblewerks, das Yu Kuwabara für das Trio Accanto komponierte, aufgefasst werden: In Between. Im Juni 2018 kam es auf der griechischen Insel Mykonos zur Uraufführung. In In Between wird explizit dieses »Dazwischen«, das Yu Kuwabara beschäftigt, musikalisch verhandelt. Ihr Stück für Altsaxophon, Schlagzeug und teils präpariertes Klavier vergleicht die Komponistin mit dem Hören zweier unterschiedlicher Musiken, wenn etwa an einem analogen Radiogerät zwischen zwei unterschiedlichen Kanälen gewechselt werde. So erklärt sie es im Vorwort der Partitur: Die erste Musik von In Between hat eine relativ dichte Struktur mit sich in Glissandi und schnellen Tonrepetitionen bewegenden Melodielinien. In dieses Gefüge dringt zunächst nur vereinzelt eine zweite Musik ein, die eher eine löchrige Struktur hat, sich jedoch in ihrer Konsistenz immer kompakter ausprägt und allmählich die Oberhand gewinnt. Zwei unterschiedliche Kraftfelder werden hier also wie zwei Substanzen in einem Laborversuch miteinander zum Reagieren gebracht.
Eckhard Weber