Seit 1954 habe ich eine mentale Methode entwickelt, die ich selbst Projektismus nenne. Der Begriff ist aufgrund seiner Verbindungen zur Nicht-Kunst und dem Mentalen worwörtlich interdisziplinär. Weder zu Philosophie, Wissenschaft noch Kunst gehörig, lässt er sich in den höherrangigen Kategorien »Geistestätigkeit« oder »spirituelle Kreativität« verorten. Hier gilt es jedoch der Vereinfachung zu widerstehen, eine forschende Tätigkeit ließe sich als Kunst definieren, indem man sie in einen Kunstkontext stellt, der als solcher überhaupt erst durch die Tätigkeit definiert ist. Ich war immer gegen den verführerischen Voluntarismus, demzufolge etwas Kunst ist, wenn nur jemand es als solche ansieht. Mir schien es wichtiger, eine solche Methode so weit als möglich unabhängig von der Konnotation »Kunst« zu entwickeln.
Von Beginn an war der Projektismus charakterisiert durch die Verwendung sprachlicher Medien, wenn auch nicht im Wortsinn; durch Selbstreflexion und die Berücksichtigung verschiedener Probleme von bewusster und unbewusster Wahrnehmung, Zeit und Raum; durch die Einführung einer Meta-Sprache, die sich auf eine Primärsprache bezog; zu einem gewissen Grad durch eine gezielte De-Ästhetisierung. In all diesen Punkten nahm der Projektismus die spätere Conceptual Art vorweg, er unterscheidet sich von ihr aber im Hinblick auf die Forderung, eine Idee müsse realisiert und könne nur von ihrem jeweiligen Urheber realisiert werden.
Anfang der 1970er Jahre begann ich im Rahmen des Projektismus mit einer Serie mentaler Klangprojekte mit Tonband. Voice from the Loudspeaker (1973) ist eine Arbeit aus dieser Reihe. Es ist sprachlich und diskursiv, die Stimme drückt Reflexionen über die Konsequenzen ihres Gehört-werdens aus. Gesprochene Sprache eröffnet eine Tautologie, hervorgerufen durch die Gleichsetzung von Bedeutung und Funktion. Der Zuhörer wird durch die hör-semantische Behauptung in Raum und Zeit auf sein eigenes hörendes Bewusstsein in Raum und Zeit verwiesen. Die Kontextabhängigkeit wurde dadurch gelöst, dass das Werk seinen Kontext immer von selbst »mit sich bringt« und dadurch wiederum seine Nachvollziehbarkeit und Autonomie sicherstellt.
Durch die Komplexität im Hinblick auf seine Rezeption kann das Werk relativ unabhängig von der individuellen Einstellung des Hörers zum Kunstkontext, dem Nicht-Künstlerischen und der Nicht-Kunst funktionieren, bleibt aber immer abhängig von der bewussten Wahrnehmung als Grundvoraussetzung. Indem es das Gewahrsein der Zuhörer beeinflusst, verhandelt das Werk auch unterschiedliche Ebenen von Zeitfluss sowie subjektive Realitätskonzepte. Tonband erlaubt mit seiner Fähigkeit, eine Abfolge von Geschehnissen zu einem Zeitpunkt aufzuzeichnen und sie zu einem anderen Zeitpunkt wieder abzuspielen, Referenzen auf jede Zeitform. Die Gegenwart, die sich auf eine Jetzt-Zeit des Hörens bezieht, kann sich formal auch auf eine zukünftige Gegenwart beziehen, wenn man bedenkt, dass das Gehörte immer schon in der Vergangenheit liegt. So gelangt das akustische Medium schließlich durch die Beschäftigung mit dem Bewusstsein des Hörers, unterschiedlichen Zeiten und Realitäten zum Bedenken seiner selbst.
Vladan Radovanović
(Übersetzung: Patrick Klingenschmitt )
//
Since 1954 I have been developing a mental approach which I call Projectism. It is multidisciplinary because of its relation to both non-art and to the cerebral. Not identified with philosophy, science or art, it belongs to the higher-order category „mental activity“ or „spiritual creativeness“. Nevertheless, this research activity can be defined as art by placing it in an artistic context which is defined only by this activity. I was against the seductive voluntarism by which something was “Art” if someone regarded it as such. It seemed to me more important to establish an approach as independent as possible of the connotations of art.
From its beginning, Projectism was characterized by the use of a linguistic medium but not in the literary sense; by self-consideration and the consideration of different problems concerning perception, apperception, time and space; by an introduction of meta-language dealing with a primary language; and by a certain degree of the de-aesthetization. With these attributes, Projectism preceded the later Conceptual Art, differing from it, however, with the demand that an idea must be realized and that it may only be realized by the creator of the idea themselves.
In the early seventies, working within the frame of Projectism, I began a series of mental sound projects with fixed media; Voice from the Loudspeaker (1973) is one work from this series. It is linguistic and discursive; the voice expresses reflections on the consequences of its being heard. Spoken language creates a tautology that is evoked by the equalization of meaning and function. The listener is directed, by auditory-semantic assertions in the contexts of time and in space, to their own consciousness of the act of listening in time and space. Contextual dependency is resolved in that the work itself carries with it a context that ensures its own comprehensibility and autonomy.
Thanks to the receptive complexity called for by the work, it can function as a system relatively independent of one’s attitude to the context of art, the unartistic, and non-art, but is always necessarily dependent on conscious perception. Because it influences the listener’s awareness, the work also negotiates different levels of time flow as well as subjective reality concepts. Tape, with its ability to record a sequence of events occurring at one time and to play them again at a different time, allows references to any concept of time. The present can also formally refer to a future moment, considering that what is heard, what has been recorded, and what is being performed is always, technically, also in the past. Thus, the acoustic medium ultimately deals with a consideration of the self, by operating within the listener’s awareness, relative places in time, and realities.
Vladan Radovanović