Sara Glojnarić: sugarcoating #2

(2017) 9‘

Nicht lange nach dem ersten Stück ihrer Werkreihe sugarcoating, das in zwei Versionen vorliegt (einer für Ensemble und einer anderen für großes Ensemble) hat die Komponistin Sara Glojnarić ein weiteres Stück, sugarcoating #2, für das Trio Catch geschrieben. Die drei Musikerinnen führten das Werk beim Festival ECLAT Februar 2018 in Stutgart auf.

In ihren Kompositionen beschäftigt sich Sara Glojnarić gerne mit Phänomenen aus der Rock- und Popmusik, oft auch aus musiksoziologischer Perspektive. In sugarcoating #2 stammt das musikalische Material von ihr selbst, die Art und Weise jedoch, wie sie das Material bearbeitet, stammt aus dem Bereich der Rock- und Popmusik. Ihr konzeptionelles Ziel war es dabei, so die Komponistin im Interview für Ultraschall Berlin, herauszufinden, ob es eine Art übergeordnetes Klanglogo der Popmusik gebe. Es geht somit um die Suche nach einem Meta-Klang der Popmusik. Sara Glojnarić hat versucht, dies anhand einiger Parameter herauszufinden. Dafür hat sie in der Datenbank Million Song Dataset umfangreiche Nachforschungen angestellt. Sie hat Rock- und Popmusikstücke von den 1950er Jahren bis ins 21. Jahrhundert untersucht und die Metadaten-Analyse auf bestimmte Aspekte fokussiert. Wie sie berichtet, lassen sich in der Entwicklung der Rock- und Popmusik drei Haupttendenzen beobachten:

Erstens, die Aufnahmen werden zunehmend lauter, um zwei Dezibel alle acht Jahre. Zweitens, das musikalische Material wird immer stärker komprimiert und homogenisiert, gleichermaßen auf der rhythmischen, melodischen und harmonischen Ebene, aber auch bei der Aufnahmetechnik. »Die Art, wie die Aufnahmen produziert werden, ist heutzutage völlig anders als vor zwanzig Jahren, weil die Musik heute oft mit schlechten Kopfhörern oder mit schlechten Lautsprechern gehört wird. Die Musik muss deshalb mit diesem Ziel produziert werden«, erklärt Sara Glojnarić. Ein Blick auf die Entwicklung von der Langspielplatte über die CD bis zum MP3-Format mit den damit verbunden Einbußen in der Qualität genügt, um dies eindrücklich zu belegen. »Um viele Daten über Streaming übertragen zu können, muss komprimiert werden, sonst geht es nicht«, gibt die Komponistin zu bedenken. Quantität geht somit auf Kosten der Klangqualität. Die Komponistin nennt in diesem Zusammenhang ein anschauliches Beispiel anhand des Songs Smells Like Teen Spirit (1991) der Band Nirvana: Der Song beginnt mit einem Gitarrenriff, der räumlich sehr weit entfernt wirkt, dann kommt ein Schlagzeug, das klanglich sehr nah und präsent ist. Heute würde durch die Komprimierung von Aufnahmen solch ein Raumeffekt verloren gehen, ist Sara Glojnarić überzeugt. Als dritte Tendenz der erwähnten Recherche wurde bei der Analyse der Metadaten herausgefunden, dass in Rock und Pop, zumindest im Mainstream, im Wandel der Jahrzehnte in den Songs zunehmend mit Wiederholungen gearbeitet werde, erklärt die Komponistin. »Das alles fand ich sehr interessant. Und ich habe mich gefragt: Was kann ich damit machen, wenn ich diese Tendenzen auf mein eigenes Material übertrage?« Aus dieser Fragestellung entstand sugarcoating #2. Das Stück ist aus sehr sparsam disponiertem Ausgangsmaterial gebaut. »Und ich habe versucht, mich bei der Komposition konsequent nur mit diesen erwähnten drei Tendenzen zu beschäftigen«, so Sara Glojnarić im Interview.

Anfangs lösen sich in sugarcoating #2 Impulse aus einem geräuschhaften Untergrund – die Saiten des Klaviers sind gedämpft – und verdichten sich zu ostinaten rhythmischen Strukturen. Diese werden in ihren Sequenzen teils verkürzt und teils verlängert, was zu einer gewissen klanglich-rhythmischen Dichte führt. Auffällig ist die Dynamik, die sich von sehr leise pp bis sehr laut ff in wenigen Sekunden jeweils verändert, wodurch sich die Energie der Impulse zeigt. Im weiteren Verlauf wird das Material verbreitert: in Form von Liegetönen verschiedener Dichte, mit Vibrato oder Trillern und in Form mikrotonaler Klangentfaltung. Vor allem die Klarinette mit ihren Multiphonics und Geräuschanteilen in hoher Lage erinnert an die Virtuosität von E-Gitarren-Soli in Rock- und Popmusik. Ein dramaturgischer Eindruck im Stück, der sich eher nebenbei ergab, wie auch die Energieschübe, die sich in dieser Musik von Sara Glojnarić Bahn brechen. Auch die synchronisierten Gesten und die Abfolge von Anspannung und Entspannung erinnern an Momente aus Rock- und Popmusik.

Kurz vor Ende des Stücks kommt aus den Lautsprechern eine vorproduzierte Komprimierung im Extrem: Mittels eines Verfahrens der Digital Optimization wird die bisherige Entwicklung des Stücks auf  20 Sekunden gestaucht. Danach nehmen zunächst das Klavier und etwas später Klarinette und Violoncello die rhythmischen Impulse des Anfangs wieder auf, diesmal jedoch als Entwicklung hin zu eine Abnahme der Dynamik. Am Ende stehen nahezu stimmlose Klänge, in denen jedoch die Spannung aufrechterhalten wird. Diese Wechsel zwischen Spannung und Entspannung im Stück, diese konzentrierte Präzision der Einsätze, sorgen für eine spezifische Energie – ein unerwarteter Aspekt der Virtuosität, der sich hier einstellt: »Das war ein Nebenprodukt, mit dem ich nicht gerechnet habe. Aber so ist es, wenn man versucht, etwas Neues für sich selbst zu entdecken«, bemerkt die Komponistin amüsiert.

Eckhard Weber