Eine direkte Überführung dieser Würdigung von Sound Space Ark und seiner Besetzung in die Gegenwart vollzog sich 2016: Im Auftrag des Ensemble Adapter komponierte die 1979 geborene Britin Naomi Pinnock ein Quintett mit dem Titel Music for Europe. Die gedankliche Reminiszenz an Bunita Marcus’ Music for Japan ist unübersehbar. Klangliche Ähnlichkeiten lassen sich allerdings höchstens in der Reduziertheit des Materials und der Transparenz der Textur ausmachen. Denn über weite Strecken kennzeichnet das Stück ein melancholischer, fast wehmütiger Tonfall – eine elegische Zartheit, die sich auch konkret verorten lässt: »Ich hatte bereits mit den Skizzen zu der Komposition begonnen«, so Pinnock, »als die Entscheidung des Vereinigten Königreichs fiel, die EU zu verlassen. Das Ergebnis des Referendums schockierte mich zutiefst. Zwar ist die Europäische Union alles andere als unfehlbar, aber dennoch halte ich den Austritt für einen unreflektierten Akt der Selbstsabotage. Sicherlich ist ein Teil meiner Betroffenheit über dieses einschneidende Ereignis in die Komposition eingeflossen. Auch wenn ich der Meinung bin, man sollte sich beim Komponieren allein auf die Kunst konzentrieren und nicht sich selbst zu sehr in den Mittelpunkt drängen – die Zerbrechlichkeit, die die Musik ausstrahlt, ist alles andere als aufgesetzt. Sie hat sich ihren Weg in das Stück ganz von selbst gebahnt.«
Auffallend ist in Music for Europe vor allem die Sparsamkeit im Klangmaterial. Sie schafft Transparenz und strukturelle Klarheit. Eine melodische Linie steht hier ganz für sich allein; der sie umgebenden Stille schutzlos ausgeliefert. »In den letzten Jahren«, so die Komponistin, »habe ich die Materialgrundlagen meiner Arbeiten immer stärker reduziert. Für dieses Stück bin ich sogar einen Schritt weiter gegangen und habe mich dazu gezwungen, mit so wenigen Elementen wie möglich auszukommen.« In der daraus resultierenden Klanglichkeit der Musik liegt eine berührende Einfachheit, die in gewisser Hinsicht an die Textvorlage erinnert, die Naomi Pinnock beim Komponieren als Inspirationsquelle diente: drei kurze Gedichtverse eines Gemäldes von Paul Klee aus dem Jahr 1916.
Hoch und strahlend steht der Mond.
Ich habe meine Lampe ausgeblasen, und tausend Gedanken
erheben sich von meines Herzensgrund.
Meine Augen strömen über von Tränen.
Diese Zeilen hatte Klee nach Erhalt seines Einberufungsbefehls als Landsturmsoldat zur bayerischen Armee geschrieben, mitten im Ersten Weltkrieg. »Ich sah dieses Bild«, erinnert sich Pinnock, »nur wenige Tage nach dem Brexit-Referendum. Es berührte mich sehr. Denn aus ihm spricht eine zarte, fast naive Verletzlichkeit – empfunden in einer Zeit der tiefen Erschütterung.«