Im Zusammenhang mit der Musik von Milica Djordjević fallen oft Schlagwörter wie
Authentizität, Intensität und Unmittelbarkeit. Dies liegt womöglich an der immanenten Dialektik ihrer Werke: Klanggestalten und Gesten werden ständig in Frage gestellt, modifiziert, destabilisiert, aufgelöst. Implosionen, überraschende Brüche und jähe Neuanfänge, Kontraste und Verschmelzungen machen auch Instrumentalstücke von Milica Dordjević zu dramatischen Klanginszenierungen.
Das Solostück Pomen II wurde von Paul Beckett, dem Bratscher des ensemble recherche, im Mai 2018 in London uraufgeführt als Auftragswerk der Hepner Foundation, die vor allem zeitgenössische Kammermusik für Streicher fördert. Milica Djordjević nennt ihr Werk »eine Threnodie, ein Seufzen, eine Beschwörung«. Das Wort Pomen aus ihrer Muttersprache Serbisch übersetzt sie mit »Erwähnung« oder »Erinnerung« und erläutert in einem Werkkommentar: »Aber es steht auch für einen alten serbischen Brauch bei einem Todesfall, wenn verschiedene Rituale eingesetzt werden und traditionelle Gesänge dem Verstorbenem gewidmet werden, die auf eine sehr besondere Art und Weise dargebracht werden – extrem ausdrucksvoll und kraftvoll, jedoch nicht pathetisch. Jede Phrase ist wie ein Vers, nachdem man nahezu seinen Atem verliert, wie ein Mikrokosmos mit seiner eigenen Geschichte (aber auch ein Teil einer größeren Totalität), wie ein Seufzer, oder besser, wie ein Stöhnen.«
Dieses Solostück für Bratsche ist eine eindringliche Inszenierung von emotionaler Zerrissenheit, wie dies tatsächlich typisch für Trauerarbeit sein kann. In Pomen II folgen in brüskem Wechsel heterogene Gestalten aufeinander: obsessive Tremoli, jähe Sprünge, schnelle Umspielungen, Arpeggien, Mehrfachgriffe, Geräuschhaftes, Pizzicati, kurze kantable Fragmente und rhythmisch geprägte Passagen. Die Zusammenballung unterschiedlicher Spieltechniken und Spielansätze in dichter Abfolge und in der Vehemenz der Gesten macht diese Komposition tatsächlich zu einem Virtuosenstück.
Eckhard Weber