Im Februar 2017 wurde der Komponist Michael Hirsch mit 58 Jahren völlig unerwartet mitten aus dem Leben und aus seinem Schaffen gerissen. Gerade hatte er an der Experimentalbühne Tischlerei der Deutschen Oper Berlin sein so geistreiches wie klangsinnliches Dido und Aeneas-Palimpsest Dido erfolgreich zur Uraufführung gebracht, an dessen Probenprozess er intensiv mitgewirkt hatte. Szenisches, performatives Denken, eine große Leidenschaft für das Theater, verbunden mit hintergründigem Humor, der Lust an Groteske und dadaistischen Ausflügen sowie immer wieder die Neugier auf Klänge in ihrer ganzen Vielfalt, grundiert von einer profunden Kenntnis von Literatur- und Musikgeschichte, haben das gesamte Schaffen von Michael Hirsch bestimmt. Er war nicht nur als Komponist und Autor tätig, sondern einem breiten Publikum ebenfalls bekannt als prägender Sänger und Performer in der von Dieter Schnebel gegründeten Gruppe Die Maulwerker und auch als Bühnendarsteller in Produktionen von Achim Freyer. Über seine Musik hat Michael Hirsch gesagt: »Die Dichotomie von konstruierender Planung einerseits und einem quasi-vegetativen Wuchern des Materials andererseits ist in meiner kompositorischen Arbeit fast immer die wesentliche formbildende Kraft, die zudem kontrolliert wird von einem gewissen dramaturgischen Denken.« Dieses »dramaturgische Denken« findet sich auch in seiner Orchesterkomposition … irgendwie eine Art Erzählung …,vollendet im Jahr 2011, die nun bei Ultraschall Berlin posthum zur Uraufführung gelangt.
Dieses Werk war ihm eine Herzensangelegenheit. Als sein Verlag Edition Juliane Klein ihn einmal für eine Broschüre nach seinen drei Lieblingsstücken aus der eigenen Werkstatt fragte, nannte Michael Hirsch spontan … irgendwie eine Art Erzählung …, komponiert für großes Orchester, vier Schlagzeuger (»in der Breite des Podiums so weit wie möglich voneinander postiert«), zwei Harfen, Klavier, Celesta und für ein Akkordeon. Das Akkordeon, ein von Michael Hirsch hoch geschätztes Instrument, leitet dieses Werk auch ein. Im Zusammenhang mit der Anfrage nach Lieblingsstücken erklärte er: »In den Jahren 2007–2009 komponierte ich im Auftrag des Landesmusikrates Mecklenburg-Vorpommern die groß angelegte Vokalsinfonie Worte Steine (für Bariton, Chor und großes Orchester), deren unhandliches Format in mir nachträglich das Bedürfnis weckte, einige der darin exponierten musikalischen Materialien in einer knapperen Form zu verdichten. So schrieb ich ohne Auftrag und äußeren Anlass (allein dadurch ist es schon zum »Lieblingsstück« prädestiniert) das 15-minütige Orchesterstück …irgendwie eine Art Erzählung…, in dem einzelne Elemente der Vokalsinfonie weiterentwickelt und durch neue Elemente ergänzt und überschrieben wurden.«
Die Partitur von …irgendwie eine Art Erzählung… beweist erneut, wie virtuos Michael Hirsch, der bekannt war für seine betörenden Vokalsätze, auch Orchestergruppen und Soloinstrumente einsetzen konnte. Dieses Werk schöpft aus dem Vollen, es ist farbenreich, vielseitig, flexibel, vibrierend, oft auch temperamentvoll, durchaus quirlig, mit direkt ansprechenden, markanten Gesten. Die Fülle der Gestalten sowie die spannende Abfolge von kammermusikalischer Transparenz und orchestralem Zusammenspiel vermag zweifellos einen Sog zu erzeugen. Michael Hirsch hat über sein Werk gesagt: »Die musikalische Form versucht, zwei entgegengesetzte Ansätze zu vereinen: Einerseits besteht die Komposition aus 24 unabhängigen, kurzen Episoden, andererseits legt sich über die Kleinteiligkeit ein dramaturgischer Bogen, der einen größeren Erzählfluss suggeriert, den die Episoden als einzelne Stationen zu markieren scheinen. Es ist einerseits eine rhapsodische Form, wie ein improvisierter »stream of consciousness«, andererseits eine durchstrukturierte Architektur aus heterogenen Elementen, die gewissermaßen die Charaktere der imaginären »Erzählung« repräsentieren. Das große Orchester wird als Ensemble von Ensembles behandelt, die ebenfalls wie individuelle Figuren im Erzählfluss erscheinen. Zu dieser »Erzählung« existiert freilich kein außermusikalischer Inhalt, sondern der Musik selbst eignet ein erzählender Ausdruck: Programmmusik ohne Programm, oder eben »irgendwie eine Art Erzählung«.
Eckhard Weber