Einen anderen Weg, der bürgerlichen Gattung des Streichquartetts kreativ zu begegnen, wählte der 1988 geborene Komponist Malte Giesen: In seinem Divertimento – Veränderung an Oberflächen von 2014 ergänzt er die Quartettbesetzung durch einen Elektronikpart. Die auf der Bühne von den Instrumentalisten gespielte Musik – Ausschnitte aus den drei Divertimenti KV 136-138 von Wolfgang Amadeus Mozart – trifft auf vorproduzierte Sounds, die sich als verfremdete Abbilder der live gespielten Klänge erkennen lassen. Mittels einer Reihe von Techniken aus der DJ-Kultur werden Fragmente der Mozart-Vorlagen bearbeitet und mit Effekten versehen, sprich: gesamplet, geloopt, beschleunigt, verlangsamt oder von kurzen Störgeräuschen durchbrochen.
Durch diese Gegenüberstellung zweier gänzlich unterschiedlicher Musizierkulturen werden sämtliche traditionelle Gattungsmerkmale des Streichquartetts vor den Ohren der Hörer dekonstruiert. Es entsteht ein klangliches Hybrid, das sich einer eindeutigen kontextuellen Verortung entzieht. Und genau darin bestand für Malte Giesen der produktive Ansatz: »Man ist nicht allein, wenn man ein Streichquartett komponiert. Man ist immer im Dialog mit allem, was davor geschrieben wurde. Und das schafft natürlich ein unglaubliches Gewicht. Lange hat mich das zögern lassen, mit der Arbeit zu beginnen. Aber irgendwann fand ich meine persönliche Lösung: Ich verabschiedete mich von dem hohen Anspruch der Innovation und entschied mich dafür, ein anderes Angebot zu kreieren. Ich wollte etwas, das in einer früheren Epoche als Unterhaltungsmusik gegolten hatte – das Divertimento –, mit Techniken kombinieren, wie sie in heutiger Unterhaltungsmusik üblich sind.«
Die hiernach entstandene Komposition legt eine popkulturelle Folie auf ein jahrhundertealtes kunstmusikalisches Artefakt. Durch die digitale Bearbeitungsmaschine gespeist, verliert die Musik jeglichen tänzerisch-leichten Charakter. Vielmehr drängen sich penetrante rhythmische Patterns in das klangliche Gefüge, deren maschinelle Härte sich unverkennbar auf computerbasierte Bearbeitungsmethoden zurückführen lässt. »Elektronik fungiert bei mir nie als zusätzliches Instrument«, so Giesen, »sie ist vielmehr ein Werkzeug zur Analyse. Sie reflektiert die vorhandenen Klänge, bricht sie auf und schafft neue Verbindungen zwischen ihnen.«
Leonie Reineke