Als Stanisław Lem im Jahr 1973 eine erste Fassung von Also sprach Golem veröffentlicht, steckt das Computerzeitalter noch in den Kinderschuhen. Heute, knapp fünfzig Jahre später, haben sich viele der Hoffnungen, die in die Computer gelegt wurden, nicht erfüllt und auch die bildreich heraufbeschworenen Horrorszenarien von Kriegen zwischen Mensch und Maschine sind keine Realität geworden. Doch das Informationszeitalter hat gerade erst begonnen. Alles ist noch offen.
Lems Text wirkt aus dieser Perspektive so aktuell wie zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung. Der Gedanke, ein Super-Computer würde die Intelligenzbarriere durchbrechen und eine eigene Form der Vernunft jenseits aller philosophischen Kategorien entwickeln, bleibt faszinierend. Wenngleich die Erkenntnisse über den Menschen, die Lems Golem XIV in seinen Vorlesungen äußert, als herbe Beleidigungen empfunden werden können, erhoffen wir uns in seinen ›Weissagungen‹ einen Ausweg aus der Ratlosigkeit und den Schlüssel für eine glücklichere Zukunft. Sein Schweigen ist die größere Enttäuschung.
Der Gott aus der Theatermaschine
Die Faszination für derartig schillernde Gedankenspiele und Zukunftsentwürfe führte die Künstlergruppe KOMMANDO HIMMELFAHRT und den Komponisten Kaj Duncan David zusammen. Eben weil Lems Also sprach Golem, das formal in verschiedene Vorlesungen gegliedert ist, nicht die offensichtlichste Vorlage für ein Musiktheaterstück bildet, haben sie sich entschieden, gemeinsam Golem XIV zu erwecken.
Doch wie erweckt man den Gott in einer Maschine, die wiederum nur in den Köpfen der Menschen existiert?
Steile Behauptungen bilden für KOMMANDO HIMMELFAHRT immer schon eine künstlerische Strategie, um eine mögliche Zukunft heraufzubeschwören und zu überprüfen. Im Theater sehen sie das Medium, das vielerlei gedankliche Wiedersprüche qua Behauptung und Affirmation auflösen kann. Warum also nicht einen Super-Computer bauen? Zumal die Aussagen des Golem, wie er selbst sagt, ohnehin nur mithilfe von sinnlicher Vermittlung dem Menschen begreifbar gemacht werden können. Die Bühnenversion des Computers Golem XIV sollte also nicht nur sinnstiftend, sondern auch sinnlich werden.
Die klingende Maschine
Der Computer ist ein lebendes, denkendes Wesen, ein Gesprächspartner und eine Autorität, die jedoch weder Gefühlsleben noch Charakter besitzt und der Ironie fremd ist. Diese Beschreibung inspirierte Kaj Duncan David zu einer musikalischen Charakterisierung, die sowohl den technischen Apparat als auch das Format von Golems Vorlesungen umfasst. Bereits in vergangenen Arbeiten waren Texte der Ausgangspunkt für Davids Kompositionen. In den Gemeinschaftsarbeiten formula for escaping the logic of the trap (2017) und Up Close and Personal (2018) machte er das gesprochene Wort zum Formgeber seiner Musik, machte Laut und Wortsinn zu strukturell gleichberechtigten sinnlichen Komponenten. David bezeichnet beide Werke jedoch nicht direkt als Musiktheater, verortet sie eher im Grenzbereich zwischen Poesie, Klang- und Radiokunst oder theatraler Installation.
In Also sprach Golem gibt es neben dem Golem XIV als theatralischer Figur den Schauspieler Graham F. Valentine, der als Computer-Ingenieur Richard Popp den Abend moderiert. Und während der Computer den Rhythmus des Stückes vorgibt, die Musik alle Aktion auf der Bühne strukturiert, muss sie doch in jedem Moment dem gesprochenen Wort und dem agierenden Menschen genug Raum geben. »Mein Interesse liegt in dem spezifischen Raum zwischen Narration und Musik, der es beidem erlaubt, nebeneinander zu existieren, ohne dass eines das andere dominiert. In ähnlicher Weise nähere ich mich der Verbindung zwischen Musik und Licht oder Video«, sagt David über seine Komposition.
Als Klangkörper fungieren neben klassischen Musikinstrumenten wie dem Violoncello auch elektronische Instrumente und Geräte, ›found footage‹ von Naturgeräuschen wie auch die menschliche oder computergenerierte Stimme. So entsteht ein atmosphärisch dichter musikalischer Raum, der uns die Präsenz des erwachten Golems suggeriert.
Sinn und Sinnlichkeit
Die Spannung zwischen Abstraktion und Illustration, die den Vorlesungen des Golems inhärent ist, soll sowohl auf der klanglichen wie auch auf der visuellen Ebene spürbar bleiben – so lautet eine Arbeitshypothese zum Stück. Der Raum zwischen Musik und Narration, den Kaj Duncan David als Komponist untersucht, öffnet sich so auch für den Medienkünstler Carl-John Hoffmann. Auf der Suche nach einer spezifischen Bildschirmoptik, die sowohl die Vorlesungen des Super-Computers bildhaft unterstützt als auch dessen Wesen charakterisiert, arbeitet er mit verschiedenen Videotechniken, die die Genese moderner Computertechnik abschreitet. Vom orangen Monochrom-Monitor bis hin zum aktuellen 3D-Rendering durchläuft der Golem eine stilistische Metamorphose aus fünf Jahrzehnten Computertechnologie.
Dabei wechseln Typografie, Illustration und digitale Texturen einander ab oder ergänzen sich, ohne dass Bild und Wort zwingend aneinander gebunden sind.
Der Mensch in der Maschine
Der erwachte Golem XIV ist das große Versprechen, mit dem das Publikum in den ansonsten kargen Theatersaal gelockt wird. Doch wie so oft in der Geschichte werden die Hoffnungen des Menschen durch den Menschen enttäuscht. Die funkenden Schaltkreise, die mahnenden Worte, die großen Gedanken entpuppen sich im Laufe des Abends als nichts anderes als eine Hoffnung, die über Jahrzehnte hinweg konserviert wurde. Golem XIV ist eine große Show, orchestriert durch den Wissenschaftler Popp und seine Gehilfen, ein Ensemble aus Musikern, die die virtuellen Atemzüge der Maschine in einen hörbaren Hauch übersetzen. Richard Popp macht ein Geheimnis daraus. Er legt den Mechanismus seiner Show schließlich offen, um selbst den Platz des Geistes in der Maschine einzunehmen und damit einen ersten Schritt in Richtung des neuen Menschen zu gehen. »For you will only save yourselves by giving up the human.«
Also sprach Stanisław Lem
1973 veröffentlichte Stanisław Lem in dem Band Imaginäre Größe ein fiktives Vorwort und die Antrittsvorlesung des Großrechners Golem XIV. 1981 erschien unter dem Titel GOLEM XIV sein futurologisches Opus summum, die »Summe meines Denkens« (Lem). Es umfasst ein Vor- wie Nachwort zweier begleitender Wissenschaftler sowie zwei Vorlesungen des Golem zu verschiedenen Themenkomplexen.
Bei jenem Golem handelt es sich um einen selbstlernenden Hochleistungsrechner, der – im Auftrag des amerikanischen Militärs konstruiert – die militärisch-strategischen Aufgaben, für die er gebaut wurde, ignoriert und vor einem Kreis geladener Wissenschaftler in zwei Vorlesungen seine Erkenntnis über den Menschen (Dreierlei über den Menschen) und über die absehbare Entwicklung künstlicher Intelligenz (Über mich) referiert, um sich danach in einen den Menschen unzugänglichen Zustand der Vernunft zu verabschieden, der notwendigerweise in Schweigen mündet.
Stanisław Lems Literatur vereint Science Fiction mit utopischen Entwürfen, die auf philosophisch stringent weitergedachten Konzeptionen basieren. Sie spielen menschliche Fragen in einer von neuen technischen Errungenschaften geprägten Zukunft durch, wie auch in seinem wohl bekanntesten Roman Solaris.
Also sprach Golem (so der deutsche Titel) enthält Lems futurologische Vorausschau auf Entwicklungen, die uns heute topaktuell bewegen: Künstliche Intelligenz und Algorithmen sind schon längst in unserem Alltag präsent. Sie bestimmen schon jetzt große Teile unserer Kommunikation. Zukunftsängste stehen dabei mit der Begeisterung über die neuen technischen Möglichkeiten in einem komplizierten Verhältnis.
Obwohl Lem in seinen Werken auch weitere technische Entwicklungen der Robotik, der Biogenetik, der Nanotechnologie oder der virtuellen Realität in erstaunlicher Weitsicht vorweggenommen hat, stand er in seinen letzten Lebensjahren Technikgläubigkeit und der Informationsgesellschaft skeptisch gegenüber.
Julia Warnemünde / KOMMANDO HIMMELFAHRT