Die 1957 in Stockholm geborene Komponistin Karin Rehnqvist verarbeitet in ihren Werken oft Elemente aus alten schwedischen Musiktraditionen, die sie selbst erforscht hat, und kommt auf diese Weise zu neuartigen Klangergebnissen. Die Worte ihres 1998 komponierten Stücks Jag lyfter mina händer stammen aus einem1694 entstandenen Text, zu finden im schwedischen Kirchengesangsbuch: »Ich erhebe meine Hände / zum Berg und Haus Gottes, / von dort sendet er seine Hilfe / und von dort leuchtet sein Licht / Der Herr gewährt mir Hilfe, / er hat Himmel und Erde geschaffen; / er hört meine Gebete.«
Sie habe ihre eigene Version dieses Kirchengesangs geschrieben, erklärt Karin Rehnqvist im Gespräch für Ultraschall Berlin. Ihr Stück hat sie in einer ersten Fassung für Gesang und Saxophon und in einer weiteren Version für Gesang und Klarinette gesetzt. Vor allem diese zweite Fassung weist einen intimen, meditativen Charakter auf. Musikalisch lehnt sich das Stück an den Stil alter schwedischer Choräle aus der westlich von Stockholm gelegenen Region Dalarna (Dalekarlien) an. Sie ist gekennzeichnet von einer waldreichen Hügellandschaft, war früher aufgrund ihrer geographischen Lage eher von der Außenwelt abgeschieden und hat noch heute einen eigenen Dialekt. Hier konnten alte Folkoretraditionen überdauern, auch jene religiösen Gesänge, die gepflegt wurden, bevor der Einzug der Orgel Ende des 18. Jahrhunderts und vorwiegend deutsche Kirchenmusik diese alte Musiküberlieferung verdrängte. Als die musikethnologische Forschung Ende des 19. Jahrhunderts mit Phonographen begann, Zeugnisse aus der Folklore zu sammeln, war gerade die Region Dalarna von Interesse. Selbst bettlägerige Greisinnen stimmten noch alte Weisen vor den Feldforschern an. Davon gibt es Tonaufnahmen, erzählt Karin Rehnqvist: »Vor allem die Ornamente und Vierteltöne in diesen Gesängen haben mich sehr inspiriert. Jeder Sänger verzierte die Melodien individuell. Das klingt fantastisch.«
In Karin Rehnqvists Stück Jag lyfter mina händer teilen sich Klarinette und Singstimme die Melodielinie, gestalten sie jedoch in den Details unterschiedlich aus. »Mich interessiert, wo sich die Singstimme und das Instrument klanglich treffen. Zuweilen verschwimmen die Klangfarben, so dass man nicht mehr merkt, wie die Klänge erzeugt werden.« Das Ergebnis ist eine in vielfachen Schattierungen erklingende Melodielinie, die zwischen Monodie und Heterophonie changiert, letztlich aber etwas ganz Eigenes darstellt: Neue Musik, deren Wurzeln gleichzeitig weit zurück in die Vergangenheit reichen und die wiederum im Klang etwas völlig Überraschendes entstehen lässt.
Eckhard Weber