Im Herbst 1938 versetzte das Hörspiel Krieg der Welten die Bewohner New Yorks in Angst und Schrecken, indem es den (glaubwürdigen) Eindruck vermittelte, Außerirdische griffen die Erde an. Die Panik ist nicht zu verstehen ohne einen Blick auf die unruhige politische Situation im Amerika jener Jahre. Der Stress und die Ruhelosigkeit dieser »Sturm-und-Drang-Jahre« beschäftigten auch die in New York lebende Komponistin Johanna Beyer. In ihrem Musiktheater Status Quo, das jedoch Fragment blieb, wollte auch sie einen Blick von außen auf die Menschheit und den Planeten Erde werfen, eine kurzgefasste Entwicklungsgeschichte der Menschheit in Musik, von den primitiven Anfängen bis zur Komplexität des modernen Lebens – wobei die Komponistin offenbar den Status Quo ihrer Zeit höchst kritikwürdig fand. Der Komponist Ray Green, der Beyer 1938 in ihrem Apartment besuchte, berichtete anschließend dem Kollegen Henry Cowell, es handele sich bei Status Quo um ein »politisch motiviertes Stück«, auch habe sich Beyer »sehr vehement über die ihrer Meinung nach herrschende politische Ungerechtigkeit» geäußert.
Im Entwurf dieser illusionslosen musikalischen Bestandsaufnahme des gesellschaftlichen Status Quo taucht an zentraler Stelle ein Interludium mit dem Titel Music of the spheres auf. Diese Sphärenmusik ist einer der wenigen realisierten Teile der Oper, und sie wirkt wie die utopische Antithese zum Status Quo ihrer Zeit, wie ein Gegenstück auch zu War of the Worlds.
Konzipiert ist Music of the spheres für »drei elektrische Instrumente«. Es nimmt somit im Oeuvre der Komponistin eine Sonderstellung ein, spielen doch neben Kammermusik und einigen Orchesterwerken vor allem Schlagzeugwerke eine wichtige Rolle. Zur Emanzipation des Schlagzeugs als wichtiges Instrument der Moderne hat Johanna Beyer maßgeblich beigetragen. Die weitgehend unkörperliche ›elektrische‹ Sphärenmusik bildet, so gesehen, einen Gegenpol zur eminent körperlichen Schlagzeug-Musik, die ja nicht selten die Grenzen physischer Leistungsfähigkeit bei den Interpreten auslotet.
Darüber hinaus kann Johanna Beyer aber überhaupt als erste Frau gelten, die mit Music of the spheres ein rein elektroakustisches Werk komponierte.
Ihren Ruhm beförderte die Pioniertat wenig. Johanna Beyer, 1888 in Leipzig geboren und 1923, nach einigen früheren Aufenthalten in Amerika, endgültig in die USA übergesiedelt, blieb ihr Leben lang am Rande der öffentlichen Aufmerksamkeit. Sie bewegte sich im Kreis der ›Ultra-Modernisten‹, pflegte intensive Kontakte zu Henry Cowell (dessen Sekretärin sie eine Zeitlang war), Ruth Crawford Seeger und Percy Grainger, hatte durchaus auch Aufführungen, doch ohne größere Resonanz. 1938 klagte sie in einem Brief, dass sie kaum jemand kenne, obwohl sie doch »Konzerte in London, San Francisco, Boston, New York« gehabt habe. Nach ihrem frühen Tod im Jahr 1944 in New York geriet Johanna Beyer für Jahrzehnte völlig in Vergessenheit. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts, beginnend mit dem 100. Geburtstag 1988, begann man sich für die Komponistin verstärkt zu interessieren. Das wachsende Interesse an der Protophase elektronischer Musik, das allerorten, im Pop wie in der ›klassischen‹ Musik, zu bemerken ist, könnte nun dazu führen, dass gerade Music of the spheres endlich aus dem Weltraum zurück in die Konzertsäle gelangt.
Rainer Pöllmann