In seiner Ästhetik und Kompositionstechnik eher auf den Spuren von Vorgängern wie Ravel, Bartók oder Strawinsky, aber offen für neue Anregungen, war Henri Dutilleux zeitlebens künstlerisch ein Individualist, der sich keiner Schule oder Strömung des 20. Jahrhunderts zugehörig fühlen wollte – weder den neoklassizistischen Gruppierungen noch den verschiedenen Ausprägungen der Reihentechnik. Der Nachkriegsavantgarde stand er distanziert gegenüber. Als reifer Komponist sagte er rückblickend in einem Interview mit der New York Times: »Ich habe großes Verständnis dafür, dass die jungen Komponisten der nächsten Generation mehr Strenge in der Kunst wollten, aber die Dinge gingen zu weit.«
Als gültige Werke betrachtete der künstlerisch überaus skrupulöse Dutilleux sein Schaffen erst ab der 1948 komponierten Sonate pour piano. Die ein Jahr zuvor entstandene Sonate pour hautbois et piano hat sich dessen ungeachtet im kammermusikalischen Repertoire durchgesetzt, nicht zuletzt, weil sie Dutilleux einst als Prüfungsstück für die Examen im Fach Oboe am Pariser Conservatoire komponiert hat. Was der Komponist zur Charakterisierung seiner Musik generell einmal sagte, gilt auch für dieses Stück: »Zunächst, was die Form betrifft, eine sorgsame Vermeidung vorgefertigter formaler Gerüste, mit einem offensichtlichen Faible für das Prinzip der Variation. Ferner, eine Vorliebe für eine bestimmte Art von Klang (vorrangig für das, was als die ›Vergnügen am Klang‹ bezeichnet werden kann) «
Der erste Satz seiner Sonate pour hautbois et piano ist mit Aria: Grave überschrieben. Er beginnt gravitätisch mit einer ostinat schreitenden Bassstimme im Klavier, ähnlich einer altehrwürdigen Passacaglia, und arbeitet mit kanonischen Techniken, aus denen sich stellenweise das Klavier, aber vor allem die Oboe befreit, um schließlich eine expressive Melodielinie zu entfalten. Der zweite Satz Scherzo: Vif beginnt mit einem marschartig antreibenden Rhythmus des Klaviers. Auf dieser Folie entspinnt sich aus kleinteiligen Strukturen die Melodie der Oboe, in die das Klavier markante Einwürfe und Impulse gibt, die von der Oboe offenbar gerne aufgenommen werden. Auch in diesem Satz befreit sich die Oboe letztlich von den Vorgaben des Klavierparts und wird kapriziöser. Dies wiederum scheint das Klavier mitzureißen. Waren die vorherigen Sätze dramaturgisch tendenziell auf gegenseitiges Kräftemessen der beiden Duopartner angelegt und auf Durchsetzung der eigenen Position, endet die Sonate im Final: Assez allant als beschwingte, heiter gestimmte Idylle. Beide Solisten ergänzen sich nun einvernehmlich und folgen jeweils den Impulsen des anderen.
Eckhard Weber