für Ensemble (2020/21) Uraufführung
Hannes Seidl, wie hat sich dieses Projekt The New Recherche entwickelt? Wir waren die Vorbereitungen?
Hannes Seidl: Das Projekt, etwas über Gentrifizierung zu machen, war für uns alle der Ausgangspunkt. Wir haben und dann zu mehreren Workshops getroffen und überlegt, was dieses Thema für unsere Musik bedeuten kann.
Was war bei Ihnen die Motivation, bei dem Projekt mitzuwirken?
HS: Abgesehen von der Aussicht auf die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Recherche sowie mit Sara Glojnarić und Charles Kowng fand ich es reizvoll, ein Projekt zu machen, bei dem erst einmal gar keine Klanglichkeit existiert. Die Idee, etwas musikalisch zu Gentrifizierung zu machen, ist ja kontrafaktisch. Denn Gentrifizierung klingt ja nicht. Was außerdem noch spannend für mich ist, betrifft ein relativ komplexes Themenfeld: Künstlerinnen und Künstler spielen ja schon immer eine Rolle in diesem ganzen Prozess der Gentrifizierung, gehen aber eigentlich nie als Gewinner daraus hervor. Wenn man da kritisch herangehen möchte, muss man strukturell denken. Da gibt es jetzt nicht eine Klanglichkeit, die man aufgreifen kann, um daraus ein Stück zu machen, das dann assoziativ ist, sondern man muss auf einer anderen Ebene strukturell arbeiten. Das ist etwas, was mich grundsätzlich immer beim Komponieren interessiert.
Welche Konsequenzen für Ihre Kompositionen haben Sie dann aus dieser Ausgangssituation gezogen?
HS: Es wurde sehr schnell klar, was ich sehr gut fand, dass wir drei Komponierenden uns darauf einigten, nicht drei einzelne Stücke zu machen, sondern wirklich die Musik zu einem Stück miteinander zu verzahnen. Das ist schon einmal eine großartige Möglichkeit, nicht drei Autor:innen nebeneinander stehen zu lassen, sondern mit seiner eigenen Position auch im Sinne des „Konzerts“ etwas zurückzutreten. Gentrifizierung ist ja ein Prozess, der überall in der Welt an Orten auftaucht, die marktwirtschaftlich interssant sind. Und dann haben wir angefangen, mit dem Ensemble in Freiburg verschiedene Orte zu besuchen. Dort konnten wir schon viel entdecken. Es stellte sich dabei immer die Frage: Wie gehen wir als Komponnist*innen und Musiker*innen damit um. Also nicht die Frage: Wie klingt das? Das hat uns umgetrieben. Und interessanterweise ist dieser Prozess des permanenten miteinander Diskutieren viel stärker in den Vordergrund getreten. Das prägt auch die Aufführung jetzt: immer neue Gruppenbildungen, diskutieren und auch merken, wie das Thema einem ein Stück weit entgleitet in seiner ästhetischen Dimension.
Wie äußert sich das konkret?
HS: Gentrifizierung ist ja eher ein markwirtschaftlicher Prozess, der ästhetische Grundlagen hat: Leute gehen in eine bestimmte Gegend, die sie reizvoll finden, wo aber für sie nichts los ist. Sie erschließen sich diese Gegend nach und nach, um eine Wohlfühlatmosphäre für sich zu schaffen. So etwas kann man aber überhaupt nicht musikalisch abbilden. So haben wir uns zu einer sozusagen affirmativen Strategie entschlossen: Wir behaupten, wir seien Vorreiter des Gentrifizierens an einem fiktiven Ort. Wir haben aber gemerkt, dass dies zwar als Narrativ funktioniert, aber nicht als Ästhetik. Es funktioniert nicht auf einer klanglichen Ebene, es wird nicht klar. Und deshalb ist für uns dieses Entgleiten ein ganz spannendes Moment: Wir kommen hier an eine Grenze des Diskursiven im Bereich der Musik. Aber wir können über ganz andere Prozesse reden, beispielsweise Gemeinschaftlichkeit, was in diesem Bereich wichtig ist. Wir können also nicht so gut dieses Thema Gentrifizierung musikalisch abbilden oder greifbar machen. Doch wir können einen Raum aufbauen, in dem wir gemeinsam leben wollen. Das kann ich musikalisch wiederum ganz hervorragend darstellen, sei es durch Gruppierung der Instrumentalist:innen zueinander oder durch das Unterstützen von Klängen, beispielsweise wenn ein Klavier einen Akkord anschlägt und die Holzblasinstrumente oder die Streicher ihn aushalten oder ihn woanders hinführen. Dies sind dann musikalische Mechanismen, die aber etwas verdeutlichen können, nämlich dass die Ensemblemitglieder füreinander da sind – auf einer musikalischen und auch theatralen Ebene. Das ist der Punkt, an den wir angelangt sind bei diesem Prozess.
Sie haben insgesamt sechs kurze Stücke beigesteuert, die über den Abend verteilt sind.
HS: Diese Struktur, einen Abend gemeinsam zu erarbeiten, bedeutet für mich nicht, ein geschlossenes Werk von einer Viertelstunde Dauer hinzustellen und zu sagen, das muss jetzt gespielt werden, währendessen ist Ruhe. Ich habe mit einem bestimmten Material angefangen, vier Stücke davon waren fertig notiert, zwei haben sich während der Probenphase entwickelt, um auf den gemeinsamen Arbeitsprozess reagieren zu können. Meine sechs Stücke kamen also als Material in den Probenprozess, die Musik wurde dann an das Ensemble und die konkreten Erfordernisse im gesamten Projekt angepasst. Die sechs Stücke haben alle dieselbe melodische Linie als Ausgangsmaterial, die sich jedoch jeweils ganz anders im Einzelnen manifestiert. Wir haben auch gemeinsam die Gesamtdramaturgie entwickelt. Die Idee, wir komponieren gemeinsam, war dafür wichtig. Deshalb tauchen in der Musik von Charles auch zwei Teile aus meinen sechs Stücken auf, bei Saras Film auch zwei und noch eines von Charles. Umgekehrt taucht dann umgekehrt in einem meiner Stücke Text auf, der aus Saras Film abgeleitet ist. Das verwebt sich alles. Wir machen auch von der Möglichkeit Gebrauch, dass etwas zweimal kommt, oder dass etwas nur halb gespielt wird und später zu Ende geführt wird. Solche Wiederholungen oder Variationen sind ja auch musikalische Mittel, die innerhalb einer Komposition eingesetzt werden. Dies können wir genauso bei diesem Abend gestalten. Gerade das ist das Schöne an dieser Gemeinschaftsarbeit.
(Interview: Eckhard Weber)