György Kurtágs 1989 entstandenes drittes Streichquartett Officium breve. In memoriam Andræ Szervánszky versammelt in einer guten Viertelstunde 15 kurze Sätze. In diesen Miniaturen wird ein reichhaltiges Beziehungsgeflecht entfaltet. Der lateinische Titel, der als „kurzes Stundengebet“ übersetzt werden kann, weckt Assoziationen an die katholische Liturgie. Kurtág hat die Komposition dementsprechend als „Mini-Requiem“ bezeichnet. Das Werk gedenkt des ungarischen Komponisten Endre Szervánszky (1911–1977), der im Titel mit der erhabenen latinisierten Form des ungarischen Vornamens erwähnt wird. Szervánszky war lange Jahre Kompositionsprofessor an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest und wandte nicht zuletzt auch Reihentechnik in seinen Werken an. Angesichts seines mutigen Handelns während der NS-Zeit wurde er 1998 in Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt.
Die Sätze III und XII von Kurtágs Officium breve stellen Transkriptionen aus zwei Fassungen von Kurtágs Hommage à Szervánsky dar, zu finden im dritten Band der insgesamt 8 didaktischen Klavierbände Jatekok („Spiele“) von Kurtág, die zwischen 1973 und 2010 entstanden sind. Im letzten Satz Arioso interrotto wird der C-Dur-Beginn aus dem dritten Satz von Szervánskys Serenade für Streichorchester (1947/1948) zitiert. Kurtág hat außerdem 4 Einzelsätze verstorbenen ungarischen Freunden gewidmet, darunter dem Mathematiker und Blockflötisten Zsolt Baranyai sowie dem Pianisten György Szoltsányi.
Neben diesen Widmungsträgern stellt Officium breve musikalisch auch eine Hommage an Anton Webern dar. Die Tatsache, dass György Kurtág „mit den wenigsten Tönen, so viel und so dicht wie möglich, etwas formulieren möchte“, wie er es einmal formuliert hat, legt eine Nähe zu Anton Webern bereits vordergründig nahe. Doch es gibt in Officium breve auch konkrete Bezüge: Äußerlich frappiert zunächst der Umstand, dass Kurtágs Komposition für Streichquartett die gleiche Opuszahl wie das Streichquartett op. 28 von Anton Webern trägt. Zudem zitiert Kurtág in den Sätzen V, VII und X von Officium breve aus Weberns letztem vollendeten Werk, der Kantate Nr. 2 op. 31 für Sopran, Bass, gemischten Chor und Orchester Weberns Kantate dauert ebenfalls lediglich rund eine Viertelstunde, wie Kurtágs Officium breve.
Für Officium breve gilt bereits aufgrund all dieser Referenzen das, was der Musikwissenschaftler Jürg Stenzl allgemein über das Streichquartettschaffen von György Kurtág, der 2016 seinen 90. Geburtstag feierte, gesagt hat: Die Musik bilde darin „den Mikrokosmos einer comédie humaine in Form von Mikroludien, von Miniszenen, in denen sich die Welt bricht, als wäre sie ein Edelstein, in den Lichtstrahlen fallen.“
Eckhard Weber