Den Platzhirschen der europäischen Nachkriegsavantgarde stand er kritisch gegenüber: »Meine Distanz zu Stockhausen, trotz meiner Bewunderung, beruht darauf, dass er immer sein Ego und seine Musik perfektionieren will, während ich beides zerstören möchte, das eine und das andere«, hat Franco Donatoni einmal als Kommentar zum tonangebenden Kollegen aus dem Norden, Karlheinz Stockhausen, geäußert. Donatoni ging es dabei nicht um irgendeine Form von Dekonstruktion, er misstraute vielmehr sowohl jeglichem Kult künstlerischer Selbstverwirklichung als auch einem überhöhten Werkbegriff. Letztlich als Einsicht aus den Erkenntnissen der Psychoanalyse Sigmund Freuds kam Donatoni zur Überzeugung: »Man kann nicht länger sagen: ›le style c’est l’homme.« Dem Komponisten ging es in letzter Konsequenz darum, sich als schöpferischer Mensch in den Dienst der künstlerischen Mittel und somit bei einem Solowerk in den Dienst des Instruments zu stellen. Donatoni war in seinen Arbeiten selbstkritisch, skrupulös und peinlich akkurat und setzte auf Konzentration der Mittel: »Um ein Stück zu komponieren, reicht eine einzige Idee«, so seine Devise.
Das 1980 entstandene Solostück Clair entwickelt sich aus melodischen Schlenkern sowie Auf- und Abschwüngen. Als Kontraste dienen sporadisch eingestreute markante Tonsprünge. Dieses sparsam disponierte Ausgangsmaterial wird vielfach variativ durchdekliniert und zu kontrastierenden Zuspitzungen geführt: Legato– und Marcato-Spiel, klangliche Vorder- und Hintergrundinszenierungen, dialogische Artikulationen, Frage- und Antwortgesten. Clair ist durchaus ein Virtuosenstück für Klarinette, jedoch ohne eitles Schaugepränge, sondern weil die Interpretation eine absolut souveräne Kontrolle der Technik und Gestaltung erfordert. Dies kann, wie gegen Ende des ersten Satzes, durchaus zu temperamentvoller, sogar zu musikantischer Verspieltheit führen.
Die inhärente Dialektik des ersten Satzes wird auf die Großform ausgeweitet. Der zweite Satz steht im äußersten Kontrast zum ersten: Hier ist nahezu alles verhalten, verschattet, die Musik wirkt wie hinter einer Milchglasscheibe, wo die Konturen und die Färbungen schemenhaft durchscheinen. Manche Gestalten indes durchstoßen kurzzeitig die Trennwand und reichen bis in den Vordergrund. Diese gebremste Dynamik bei gleichzeitiger großer Wendigkeit ist eine weitere spieltechnische Herausforderung dieses Stücks.
Eckhard Weber