Der aus Paris stammende Komponist Franck Bedrossian ist, wie viele seiner Zeitgenossen, von der französischen musique spectrale geprägt. Als Konsequenz aus den jahrzehntelangen Erfahrungen der elektronischen Musik, die nicht zuletzt die Werkzeuge bereitstellte, den einzelnen Klang in seinem Obertonspektrum und auch in seinen geräuschhaften Anteilen zu analysieren, versucht die école spectrale – wenn der Begriff der „Schule“ hier erlaubt sei – vereinfacht gesagt diese Erkenntnisse auf die akustischen Instrumente zu übertragen und auf diese Weise den Klang in einem musikalischen Werk intensiv auszuleuchten.
Franck Bredossian studierte am Pariser Conservatoire bei Gérard Grisey und Marco Stroppa und am maßgeblichen Zentrum Frankreichs für elektronische Musik, am IRCAM, das im Centre Pompidou in Paris beheimatet ist. Gleichzeitig ist er – wie auch Mark Andre – ein Schüler von Helmut Lachenmann, der mit seiner konsequent kritischen Hinterfragung des Klangs als solchem eine im Gegensatz zur musique spectrale völlig andere, gewissermaßen existenzialistische Perspektive hat.
Franck Bedrossians Stück The Edges are no longer parallel für Klavier und Elektronik wurde 2013 im Amphithéâtre des Opernhauses von Lyon von Wilhem Latchoumia am Klavier uraufgeführt. Wie die Interaktion zwischen Elektronik und Klavier in The edges are no longer parallel verläuft, hat Franck Bedrossian in einem Kommentar zu seinem Werk erläutert:
„In diesem Stück wird die Elektronik durch die doppelte Präparation des Klaviers bestimmt: zum einen durch die konkrete Präparation (Gegenstände, die auf den Saiten positioniert werden) und durch die Elektronik selbst. Eine der Zielsetzungen war es, eine Art ›Meta-‹ oder erweitertes Klavier zu erzeugen, dessen Klänge mit den geräuschhaften Texturen der Elektronik verschmelzen, teilweise voraufgenommen und in Echtzeit verarbeitet.
Schließlich ermöglicht dies eine große Spannweite musikalischer Möglichkeiten und vor allem eine andauernde Mehrdeutigkeit der Wahrnehmung. Tatsächlich ist es an bestimmten Stellen unmöglich zu sagen, ob die erzeugten Texturen elektronischer oder akustischer Natur sind. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die räumliche Gestaltung und zusätzlich durch die Verteilung der elektronischen Klänge durch einen Lautsprecher, der auf dem Boden unter dem Klavier positioniert ist. Klangliche Ambivalenz ist in der Tat einer der Aspekte, der den musikalischen Diskurs und die poetische Atmosphäre des Stücks bestimmt. Eines der Kompositionsprinzipien war es zu vermeiden, dass zwei bestimmte konkurrierende musikalische Räume definiert werden oder der Kontrast zwischen Elektronik und Akustik verstärkt wird, um dem entgegen die Verbindung und Illusion einer Verschmelzung von zwei Welten zu erreichen: der des Instruments und der Elektronik.“
Die Ränder zwischen den Klavierklängen und der Elektronik liegen hier tatsächlich nicht mehr parallel nebeneinander, um das Bild des Titels von The Edges are no longer parallel zu übernehmen, sondern sie überlappen sich und öffnen sich. Auf diese Weise weitet Franck Bedrossian die typischen Klanglichkeiten des Klaviers, das bei seinem Werk nicht nur auf den Tasten gespielt wird, sondern auch im Inneren des Korpus, in einer ungeheuren Vielfalt aus. Bedrossian gelingt ein neuartiges Kontinuum zwischen den akustischen Klängen des Klaviers einerseits und der Elektronik andererseits, das zwischendurch immer wieder eine ungeheure Energie entfaltet und vor allem auch die perkussiven Seiten des Klavierspiels zur Geltung bringt.
Eckhard Weber