für Klarinette/Bassklarinette und Klavier
Eun-Hwa Cho ist im Sommersemester 2017 als Professorin für Komposition an die Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin berufen worden. Ihr Stück Nam-Hae für Klarinette und Klavier wurde September 2017 in ihrer südkoreanischen Heimat in Tongyeong uraufgeführt von Nina Janßen-Deinzer und Catherine Klipfel. Anlass war der 100. Geburtstag von Eun-Hwa Chos Landsmann Isang Yun, der Jahrzehnte vor ihr ebenfalls in Berlin gelebt, komponiert und gelehrt hat, im Westen der damals noch geteilten Stadt.
Der Titel von Eun-Hwa Chos atmosphärisch bezwingendem Duo-Stück Nam-Hae bedeutet auf Deutsch »südliches Meer«. Damit verbindet die Komponistin mehrere Konnotationen, allerdings gerade nicht idyllische Assoziationen, die sich womöglich vordergründig einstellen. Eun-Hwa Cho wurde selbst an der Südküste Südkoreas, in Busan, geboren, sie kennt die Geschichte der Region sehr gut. Südostlich von Busan liegt die Hafenstadt Tongyeong, wo Isang Yun aufwuchs. Mit der gemeinsamen Heimatregion verbindet Eun-Hwa Cho vorwiegend bedrückende und traurige Ereignisse: In früheren Jahrhunderten wurden viele Menschen nach Tongyeong verbannnt, Isang Yun selbst wurde später während der südkoreanischen Militärdiktatur von Berlin unter abstrusem Spionageverdacht entführt und in Südkorea inhaftiert und gefoltert. Das jüngste Ereignis, das Eun-Hwa Cho mit der Südküste ihrer Heimat verbindet, ist ein Fährunglück im Jahr 2014, bei dem 304 Passagiere umkamen, vor allem Schüler. Eines der Opfer trug denselben Namen wie Eun-Hwa Cho. Als Kind empfand die Komponistin das Meer als Bedrohung, wenn die Taifune wüteten. Solche Gedanken beschäftigten sie während der Komposition dieses Duos und zudem eine Passage aus Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft: »Wer sich fürchtet, kann über das Erhabene der Natur gar nicht urteilen, so wenig als der, welcher durch Neigung und Appetit eingenommen ist, über das Schöne. Jener fliehet den Anblick eines Gegenstandes, der ihm Scheu einjagt; und es ist unmöglich, an einem Schrecken, der ernstlich gemeint wäre, Wohlgefallen zu finden. Daher ist die Annehmlichkeit aus dem Aufhören einer Beschwerde das Frohsein. Dieses aber, wegen der Befreiung von einer Gefahr, ist ein Frohsein mit dem Vorsatze, sich derselben nie mehr auszusetzen; ja man mag an jene Empfindung nicht einmal gerne zurückdenken, weit gefehlt, daß man die Gelegenheit dazu selbst aufsuchen sollte.«
Eckhard Weber