Die Zwölf sei eine »mythologische Zahl«, sagt Enno Poppe. Und wagt die These, dass der Erfolg der Zwölftontechnik vor allem mit dieser mythischen Aufladung der in zwölf gleiche Intervalle geteilten Oktave zusammenhänge. Mit MACH von Eres Holz ist Enno Poppes Zwölf für Violoncello in diesem Konzert ein solistisches Intermezzo, es stellt aber auch einen Link zu anderen Konzerten des Festivals dar. Anknüpfungspunkt für Poppe war Messagesquisse von Pierre Boulez, das in einer Fassung für Viola und Zuspielung bei Ultraschall Berlin von Christophe Desjardins aufgeführt wird. Aber natürlich spielen – im Zusammenhang mit dem seriellen Denken in 12er-Paketen – auch die Mitte der 1940er-Jahre entstandenen zwölf Notations für Klavier eine gewisse Rolle. Nicht als Zitat, aber als musikhistorischer Ankerplatz. »Ich wollte auf keinen Fall einen Stil benutzen. Mir ging es um die Frage, wie die Komponisten damals überhaupt auf die Idee kommen konnten, alles auf die Zahl Zwölf hin zu untersuchen und zu fixieren.« Eine Parallele ergibt sich aber auch zu Poppes 17 Etüden für die Violine, 2. Heft im Konzert von Carolin Widmann. Beide Werke sind etwa vier Minuten lang. Während jenes Frühwerk in dieser Zeit aus einem Zweitonmotiv nicht weniger als 289 Variationen extrahiert (und darin komprimiert), so beschränkt sich Poppe in Zwölf auf gerade mal – wer hätte es gedacht! – zwölf Miniaturen, die jedoch ebenfalls rasend schnell nacheinander ablaufen. »Die erste Miniatur ist nur drei Sekunden lang, enthält aber eigentlich schon das gesamte Material. Jede folgende Miniatur ist immer ein bisschen länger als die vorhergehende, d.h. das gleiche Material dehnt sich an unterschiedlichen Stellen verschieden aus und generiert so neue Triebe. Es handelt sich bei diesen Vorgängen tatsächlich um Wachstumsprozesse, die aber immer abgeschnitten werden. Im Grunde ist es so, als würde man Fotografien von diesen Stellen anfertigen. Der Moment davor und der danach fehlen immer. Auch das letzte Stück ist noch so kurz, dass man es als eine Einheit empfinden kann, als würde man quasi zwölf Bilder von einem Prozess sehen – als würde man ein Fotoalbum durchschauen.«
Rainer Pöllmann