Freizeit für Streichquartett von Enno Poppe wurde Ende November 2016 in Hannover uraufgeführt. Das Werk enthält 14 kurze Teile. Als lakonischer Kommentar des Komponisten steht in der Partitur: „Das Stück besteht aus zwei Elementen: spielen und umblättern. Das Umblättern soll stets zügig ausgeführt werden. Es bleibt dem Geschmack und dem performativen Talent der Spieler vorbehalten, im Verlauf des Stückes den Vorgang des Umblätterns unterschiedlich zu gestalten.“ Dass dies nicht bloß eine performative Manieriertheit ist, die eine aufführungspraktische Notwendigkeit – das notwendigen Übel des Seitenblätterns – inszeniert, zeigt der Blick in die Partitur: Zwischen den ersten 6 Teilen ist jeweils ein unbedrucktes Blatt eingebunden. Es stellt ein absichtliches Hindernis dar, der Vorgang des Umblätterns wird dadurch erschwert und mitunter verzögert: Entweder man greift beim Spiel konzentriert zwei Blätter gleichzeitig oder blättert zweimal.
Diese erzwungene Pause ist ein von den Interpreten zu gestaltender Bestandteil des Werks. Die stumme „Freizeit“ – Zeit frei von notierter Musik – bestimmt zudem die Dramaturgie des Stücks. Nach Teil 7 der Komposition folgen die einzelnen allmählich umfangreicher werdenden Teile ohne leere Zwischenblätter aufeinander. Dieses Anwachsen der Strukturen von einem Takt bis zum letzten Teil mit 6 Akkoladen auf zwei Seiten, diese organisch wirkende Entwicklung, ist ein typischer Zug der Musik von Enno Poppe.
Bei Freizeit steht als Ausgangspunkt eine kurze Konfiguration: Die vier Streicherstimmen bewegen sich in parallel geführten, kreisenden Melismen in Sekundschritten, denen ein markant nachschlagender, tiefer Pizzicato-Akzent im Cello folgt. Aus diesem ersten Keimling erwachsen die weiteren Strukturen, die sich immer mehr differenzieren und zunehmend komplexer werden.
Eckhard Weber