2017 ist die Komponistin Elnaz Seyedi von der Stadt Köln mit dem Bernd-Alois-Zimmermann-Stipendium ausgezeichnet worden. In der Laudatio hob ihre Kollegin Carola Bauckholt bei Elnaz Seyedi die »charakteristische Tiefe« hervor, die sich durch vielfache Perspektivwechsel in ihrer Musik ergebe. Dies führe zu einer »anderen Art des Hörens und zu einer Sensibilisierung der Wahrnehmung des Publikums«.
Elnaz Seyedis Streichquartettstück fragmente über/unter druck (uraufgeführt September 2019 vom Boccherini Trio im Rahmen des Festivals ZeitRäume – Biennale für Neue Musik und Architektur in der Galerie von Bartha in Basel) setzt sich ähnlich vielschichtig mit dem im Titel erwähnten Phänomen des Drucks auseinander.
So wird Druck zunächst auf der Ebene der Spieltechnik in unterschiedlicher Intensität durch den Bogen auf die Saiten der Streichinstrumente ausgeübt. »Aber auch die linke Hand ist daran beteiligt«, hat Elnaz Seyedi im Interview für Ultraschall Berlin bemerkt, »es gibt normal gegriffene Töne, es gibt Flageoletts und Multiphonics und es gibt Halbflageoletts, wenn die linke Hand die Saiten zwischen Flageoletts und normaler Position niederdrückt. So ergibt sich eine sehr besondere dunkle Farbe.« Auch bei der Kontrolle der Dynamik und bei Spieltechniken wie Pizzicato mit Fingernägeln gehe es letztendlich um Druck, betont die Komponistin. Doch nicht nur in der Spieltechnik, sondern auch im musikalischen Satz geht diese Erforschung weiter. Die Klänge sind an vielen Stellen in der Struktur wie gestaucht, somit zusammengedrückt, und es gibt mikrotonale Reibungen in unterschiedlichen Dichtegraden. Gleichzeitig wird diese Reibung durch geräuschhafte Anteile aufgrund einer bestimmten Bogenführung, etwa kreisender Bewegungen, intensiviert. Damit ist das Bedeutungsfeld bei Elnaz Seyedis Stück jedoch noch nicht erschöpft. Denn sie möchte es durchaus als gesellschaftspolitischen Kommentar verstanden wissen, wenn sie im Vorwort der Partitur ihr Stück beschreibt als »einige Fragmente über den Druck der alltäglichen Konfrontation mit Druck, Hierarchien und Diskriminierung in unterschiedlichen Bereichen des Lebens. In der Politik, in der Kunstszene (als kleiner Ausschnitt des kapitalistischen Systems), tatsächlich überall in der Welt … In der Hoffnung, neue Formen zu finden, neue Wege, mit Druck umzugehen, mit seiner Kraft und seiner Schönheit … für Poetik, für eine nicht-hierarchische Gesellschaft … für eine bessere Welt …«
Eckhard Weber