Für den jungen dänischen Komponisten Allan Gravgaard Madsen, Jahrgang 1984, ist praktisch alles Klang, was er in seiner Umwelt wahrnimmt. Er hat überaus empfindliche Sensoren für vielfältige akustische Reize, die in sein Schaffen einfließen: »Ich kann von vielen Dingen inspiriert werden, etwa von Klängen aus der Natur, dem Geräusch der Bremse in einem Bus, dem Zusammenklang von Posaune und Pauken in einer Symphonie von Tschaikowsky, von einem Popsong, von elektronischer Musik, der Art, wie manche Wörter von jemandem auf der Straße ausgesprochen werden, von Fotos, Gemälden, der nordischen Natur – im Grunde von allem. Ich habe keinen Filter, womit ich all die Eindrücke von mir fern halten könnte. Das ist Segen und Fluch zugleich«, erläutert er im Gespräch für Ultraschall Berlin die Notwendigkeit, diese Eindrücke in eigenen Kompositionen zu verarbeiten. In Allan Gravgaard Madsens Werken erscheinen bekannte Elemente oft verzerrt oder verfremdet. Die Instrumente spielen in hohen Registern oder sie sind in bewusst ungewöhnlichen Lagen geschrieben. Zudem bevorzugt Allan Gravgaard Madsen die leisen Töne. Er erklärt dazu: »Der Gedanke, Musik in Frequenzen und Dynamikbereichen zu schreiben, die ich nicht mehr hören kann, wenn ich alt sein werde, hat für mich etwas Magisches. Die Musik ist im Hier und Jetzt. Eine Inspiration für mich ist außerdem die Tatsache, dass ich – in den meisten meiner Stücke – versucht habe, eine bessere Version von mir selbst zu kreieren: In meinem Privatleben bin ich sehr oft rastlos, spreche mit vielen Leuten auf meinen Wegen, vergesse die Zeit und habe eine Menge Ideen in einem Strom unaufhörlicher Assoziationen. Deshalb bestehen meine Stücke aus sehr wenigen Elementen, die dauernd wiederholt werden – ein Versuch, den Fokus auf ausgewählte Details zu richten. Tendenziell habe ich viele ›verschattete‹-Elemente, etwa verzerrte Melodien und gedämpfte Klänge, in meiner Musik. Normalerweise, werden die festen Tonhöhen mit einem extremen Vibrato in einer ›unvorteilhaften‹ Lage gespielt oder so leise wie möglich als Versuche, das Material zu verfremden. Dies kann ziemlich minimalistisch wirken, aber ich habe keine Angst vor Einfachheit. In dieser Hinsicht könnte ich mich vielleicht in eine Version 2.0 der dänischen Ny Enkelhed (›Neue Einfachheit‹) einreihen.«
Das Ensemble für Allan Gravgaard Madsens neues Werk Ouverture besteht aus Piccoloflöte, Oboe, Klarinette, Klavier, Violine, Bratsche, Violoncello und Schlagzeug, das so verschiedenartige Instrumente umfasst wie Xylophon, Becken, Glasflasche, Woodblock, Ziegelstein und Sandpapier. Allan Gravgaard Madsen hat zu Ouverture außerdem erklärt: »Wenn ich Kammermusik schreibe, versuche ich meistens, alle Instrumente wie ein großes Instrument agieren zu lassen. Für Ouverture habe ich dieses Konzept ein bisschen gelockert: Anstatt eines Instruments (das aus 8 Instrumenten entsteht) habe ich Gruppen im Ensemble formiert, die zusammenspielen. Man wird definitiv einige Zellen aus verschiedenen musikalischen Zutaten hören, die während des Stücks repetiert werden und sozusagen einen großen Kuchen ergeben – doch manchmal fehlen einige Zutaten, und in der Mitte des Stücks führe ich neue Elemente ein und entferne andere. Ich hoffe, dass der Kuchen trotzdem noch gut schmecken wird. « Den Titel Ouverture hat der Komponist gewählt, weil sich das Stück großformal auf das Schema Schnell-Langsam-Schnell bezieht, das letztlich auf die barocke französische Opernouvertüre zurückgeht.
Eckhard Weber