Schwarze Perlen, auch Tahitiperlen genannt, zählen zu den begehrtesten und damit kostbarsten Perlen überhaupt. Ihre natürliche Färbung variiert zwischen Schwarz, Anthrazit und dunklem Silbergrau. Je dunkler die Perlen sind, desto mehr Wert kommt ihnen zu. Gewonnen werden sie aus den Beständen der Schwarzlippigen Perlenauster, deren natürliches Vorkommen im Südpazifik ist, in Lagunen etwa der Gesellschafts- und Marquesas-Inseln. Heute werden sie dort und in anderen Lagunen der polynesischen Inseln und Atolle gezüchtet.
In der Mythologie Polynesiens spielen die Perlen eine bedeutende Rolle, denn mit ihrem Glanz kommt das Licht in den gesamten Kosmos. In einer der Schöpfungsmythen wird dies in eindrucksvollen, sehr poetischen Bildern zum Ausdruck gebracht: Tane, Schöpfergott, gleichzeitig Gott der Harmonie und Schönheit, erschafft mit diesen Perlen die Sterne am Himmel. Mit ihnen wird zudem der Ozean beleuchtet. Durch einen Sohn Tanes, Oro, Gott des Friedens und bei Auseinandersetzungen auch gleichzeitig Gott des Krieges, zudem der Fruchtbarkeit, kommen die Perlen auf die Erde zu den Menschen. Als Oro auf der Suche nach einer Gattin ist, gelangt er über einen Regenbogen auf die Erde. Bei der Brautsuche wird er unterstützt von seinen Schwestern. Diese finden auf Bora-Boa schließlich eine Frau, Vairaumati, in die sich Oro verliebt. Sein Werbegeschenk für sie sind Perlen, die er aus seiner überirdischen Heimat mitbringt. Als er zur Verbindung kommt, schenkt Oro aus Dank für die glückliche Brautfahrt den Menschen die Perlmuscheln, die seither in den Lagunen zu finden sind. Vor allem auf Tahiti wurde Oro zudem als Gott der Künste verehrt, was den Bogen dieses kurzen mythologischen Exkurses aus dem Südpazifik zur Musik Bernhard Ganders schlagen kann.
Bernhard Gander erwähnt den erwähnten Mythos um den Gott und seine Brautsuche in einem kurzen Kommentar zu seinem neuen, für das Notos Quartett geschriebenen Werk Schwarze Perlen. Seine Klangvorstellung deutet Bernhard Gander darin ebenfalls an: »Schwarze Perlen überträgt diese mythische Gabe und lässt die virtuos perlenden Musiker des Notos Quartetts in einem dunklen, schimmernden Glanz erscheinen.« Dieser Glanz wird in Schwarze Perlen für Klavierquartett durch klangliche Verdichtungen erzielt, die sich durch verschiedene Strategien ergeben. Eine davon sind schnelle durchgehende Achtelbewegungen, deren Rhythmusakzente und deren an Spiralbewegungen erinnernde Melodien in der Binnenstruktur reichhaltig variiert und transformiert werden.
Den Anfang macht das Violoncello und bald darauf tiefe Register des Klaviers in fließenden Linien, legato lautet die Spielanweisung der Partitur. Die Geige bringt eine mikrotonal gefärbte Linie, ebenfalls in tiefer Mittellage ein, die Bratsche rhythmisch markante Doppelgriffe in tiefer Lage. Der Klangraum ist in der Tiefe auf diese Weise intensiv farbgesättigt.
Mitunter übernehmen die einzelnen Instrumentenstimmen Strukturen der anderen, so spielt etwa das Cello passagenweise die rhythmischen Akzente der Bratsche zusammen mit dieser. Auch wenn die durchgehenden Achtelgänge mitunter sukzessive verschwinden, bleiben doch die pulsierende Energie und der insgesamt treibende Rhythmus erhalten. Eine weitere Strategie, um den im Werkkommentar beschworenen dunklen Glanz zu erzeugen, ist eine akkordische Verdichtung: Aus dem tiefen Register des Klaviers ist dies in von Sekundreibungen geprägten komplexen Akkorden zu hören, Violine, Viola und Cello verdichten ihre Klänge mit rhythmisierten Akkorden. Eine Intensivierung der Sogkraft entfalten zwischendurch chromatische, mikrotonal durchsetzte Abwärtsläufe in regelmäßigen Achteln, die nach einem kurzfristigen Auslaufen zu einer erneuten Bündelung der Energie führen. Nun übernimmt das Klavier die motorische Energie mit markanten Ostinati, die einen fortwährenden Variations- und Transformationsprozess durchlaufen, während die Streicher mit rhythmischen Akkorden den Klangraum füllen. Die Violine erhebt sich in ihren Einsätzen immer wieder kurzfristig über das Geschehen mit hoch schwebenden, ruhig fließenden Linien.
Im weiteren Verlauf werden die dichten Klavierakkorde rhythmisch in komplexere Muster transformiert, während die Streicher ein Klangfeld darüber aufbauen, aus dem schießlich nochmals eine rhythmische Beschleunigung im doppelten Tempo erwächst. In diesen Strudel geraten allmählich sämtliche vier Instrumente des Klavierquartetts. Hier kommen dann schließlich beide Strategien zur Erzielung eines klanglichen dunklen Schimmerns zusammen: Konsequent durchgehende Bewegungsenergie und akkordische Verdichtung. Das Resultat ist ein Klangraum, dessen farbliche Nuancen derart eng beieinanderliegen, dass sich tatsächlich der Eindruck eines dunklen Schimmerns einstellt.
Bernhard Gander hat eine große Leidenschaft für Rockmusik, vor allem für Heavy Metal. In seinem Werkkatalog gibt es Kompositionen für Kammerbesetzung und Orchesterstücke, die sich dezidiert auf Heavy Metal-Formationen wie Motörhead, Iron Maiden und AC/DC beziehen. »Wenn ich eine gute Nummer höre, dann denke ich mir, ah, da ist ein guter Rhythmus, Riff, Drum, Gitarrensolo. Das bleibt irgendwie im Kopf, und ich überlege mir, warum das so ist. Und das probiere ich dann, in die Arbeit einfließen zu lassen«, hat dies Bernhard Gander einmal erläutert. Solch eine Energie, sie scheint auch in einem Werk, dessen Titel und übergeordnete Klangvorstellung sich von einem Schöpfungsmythos aus Polynesien speisen, spürbar durch.