Das Konzert Adolescência von Ricardo Eizirik hat mich unvorbereitet erwischt, auch dank des einleitenden Textes auf der Ultraschall-Website. „Adolescência ist eine (Meta-)Reflexion über Archetypen der Aggression in der Jugendkultur und -musik (mit besonderem Augenmerk auf die Zeit um die Popularisierung des Internets, die 1990er- bis 2010er-Jahre).“
Angenommen, ich höre ein Stück, das eine gewisse Distanz zur Aggression in der Musik der Genres ‘Punk-, Hardcore-, Drone-, Metal-, Indie- und Noise-Rock-Bands’ einnimmt, dann finde ich mich in einer Erfahrung wieder, deren Fokus so weit wie möglich von analytischer Distanzierung entfernt ist. Für Ricardo Eizirik ist der Kontakt mit diesem Element der Aggression wichtig, die, wie er mir erzählt, nicht die Aggression gegenüber einem anderen darstellt, sondern vielmehr die körperliche Energie, die dabei reaktiviert wird.
Und so entstand dieses Stück, das für mich in “Szenen” unterteilt ist, die durch verschiedene Arten von Drones gekennzeichnet sind, Klänge, die sich im Raum festsetzen und wachsen, bis sie sich etablieren und eine statische Klangwand bilden, die jedoch aus lebendigen Elementen besteht. Diese Musik, die in zweijähriger Arbeit mit Interpreten entstanden ist, die von Ricardo aufgrund ihrer Energie auf der Bühne ausgewählt wurden, repräsentiert die Leidenschaft des Komponisten, und das Publikum ist eingeladen, sich damit auseinanderzusetzen und darauf zu reagieren.
Keine Meta-Reflexion also, sondern direkter Kontakt mit Musik, mit Klang und seiner Fähigkeit, starke Reaktionen hervorzurufen. Diese reichen von der Erregung, die zum Tanzen verleitet, bis zum Ärger darüber, dass es zu laut ist, Reaktionen, die manchmal nebeneinander bestehen. Durch diese Emotionen lernt man sich selbst kennen, vor allem in der Pubertät, einer Zeit, in der man beginnt, seine Umgebung zunehmend zu hinterfragen. Auch das offene Format, bei dem der Zuschauer aufgefordert wird, mit seinem Körper zu reagieren, sich zu bewegen aber auch sich ablenken zu lassen, stellt das Format traditioneller Konzerte für zeitgenössische Musik in gewisser Weise in Frage.
Die Komposition hat vielen gefallen, doch für mich bleibt ein Gefühl der Unzufriedenheit. Die Hommage des Komponisten an diese Musik ist so eindringlich, dass der Genuss direkt mit der Affinität zu den erinnerten Genres zusammenhängt, Genres, die in den meisten Szenen, in die ich die 70 Minuten der Aufführung gedanklich eingeteilt habe, von meinem persönlichen Geschmack und meinen Erfahrungen aus meiner Jugend abwichen. Mir fehlte genau die Distanz, die den kleinsten gemeinsamen Nenner für den Genuss eines Publikums zeitgenössischer Musik ausgemacht hätte, ja, sogar eines Publikums mit einem Stock im Arsch.
Hinzu kam eine suboptimale Akustik, die die Klänge sehr untransparent machte. Die Klarinettistin und Performerin Carola Schaal wie verrückt wackeln zu sehen, aber den von ihr erzeugten Ton wegen der Lautstärke des Synthesizers nicht hören zu können, hat mich sehr frustriert. Aber andererseits, wie viele der Bands, die ich als Teenager liebte, konnten an Orten spielen, an denen alle Instrumente richtig zu hören waren? Meine Leidenschaft bereicherte den Klang dort, wo die Akustik ihn zerstörte. Und das war auch bei Ricardo Eiziriks Auftritt für viele der Fall.
Andererseits habe ich nach einem Gespräch mit dem Komponisten das Gefühl, dass meine Frustration, die Ricardo gelassen hinnimmt, auch Teil seiner Absicht war. ‘Adolescência’ ist eine Komposition, in der eine Welt behauptet wird, die nicht nur die zeitliche Distanz der Jugend, sondern auch die geografische Distanz Brasiliens hat. Eine Welt, die man im Stück durchgehend erleben kann, die aber nicht unbedingt von jedem verstanden werden wird.