Schwarz liegt der Saal. Der Vorhang rollt auf, Stille. So öffnet „PS: and the trees will ask the wind“ von Elnaz Seyedi und Ehsan Khatibi. Ein Text und ein Foto werden projiziert und verschwinden wieder. Aus der Stille explodiert ein Knall, so laut, dass die Vibration meinen Stuhl wackeln lassen. Das Publikum zuckt zusammen, erschreckt vom Angriff des Geräusches. Taschenlampen werden von den drei Performer*innen angeknipst und vermessen langsam den Rand der Bühne. Ich frage mich, was sie dort suchen. Ein Ereignis, eine Wahrheit, eine Spur? Die extreme Reduzierung lässt mir Zeit zu denken, bis ohrenbetäubender White Noise mich in die Realität zwingt. Die Bühnenbeleuchtung geht an. Jetzt können wir die drei Musiker zum ersten Mal richtig sehen. Sie haben kleine Pulte vor sich, mit jeweils sechs Spachteln. Susanne Fröhlich nimmt zwei von diesen in die Hand und beginnt sie in einem rhythmischen Streichen aneinander zu reiben. Diese ätherisch klingenden Metallobjekte sind in den letzten Jahren mehrfach in Stücken der zeitgenössischen Musik zur Verwendung gekommen, doch hier wird ihr Material außerordentlich fein und dezidiert verarbeitet. Es erzeugt zusammen mit Violine und Paetzoldflöte eine ganz eigene Klangsprache. Mit dem Bogen gespielt, erzeugen die Spachtel einen surrenden Ton – schön und bezaubernd und in starkem Kontrast zu den Bildern der Projektion, die langsam ein Thema von Raketen, Feuer und Explosion enthüllen. Störlärm wird immer wieder eingesetzt und mehrmals verlassen Personen den Saal. Auch ich finde, dass der Klang schmerzt und halte mir, sobald er auftaucht, die Ohren zu. Ein Glissando der Violine lässt mich an durch die Luft fliegende Geschosse denken. Die Musik ist oft einer Trance ähnlich oder sehr lethargisch, mit fehlen Pausen. Sie lässt mich auf jeden Fall nicht los. Ich spüre ein starkes Gefühl, ist es Trauer oder Wut oder die Ahnung einer Ungerechtigkeit? Verzweiflung überkommt mich bei der Frage, wieso überhaupt irgendwo auf dieser Welt Raketen einschlagen. Das Hintergrundgeräusch von Rotoren schwillt an und wächst und wächst, bis es fast weh tut und mein Stuhl erzittert. Extrem helles, orangenes Licht erstrahlt plötzlich von der Bühne direkt ins Publikum, viele halten sich die Hände vor die Augen, gucken geblendet weg.
Die Situation wird gebrochen durch Dunkelheit und Stille – nur Sara Saviet bleibt an der Violine und spielt knackende Töne, die dem knisternden Schwelen eines Feuers zum Verwechseln ähnlich klingen. Windige Töne der Paetzoldflöte und Summen der Spachtel kommen hinzu, immer wieder durchsetzt von Stille. Ich glaube inzwischen, dass es in diesem Stück um den Schmerz geht, dass wir nicht wissen können, was wirklich geschehen ist. Und dass wir es nicht ungeschehen machen können. Während die Musiker*innen spielen, taucht ein kleines bisschen Helligkeit auf der Projektion hinter ihnen auf. Vielleicht ein Sonnenaufgang? Doch das Bild entpuppt sich als Satellitenaufnahme eines mir unbekannten Ortes und das Stück endet mit dem titelgebenden Buchzitat: „and the trees will ask the wind: On your way here, haven’t you seen the dawn?“
Immer wieder wird das Publikum in diesem Stück im Dunkeln gelassen und mit Fragen konfrontiert, die sich die beiden Komponist*innen wohl auch bei ihrer Recherche gestellt haben. Die Unvollendetheit und die offenen Fragen schmerzen fast so sehr wie die bewussten Aggressionen der Komponierenden gegenüber dem Publikum. Diese ganz eigene Ästhetik und Klangsprache des brennend stechenden White Noise und der hoch surrender Metallklänge erzeugen eine starke Emotionalität der Tragik und des Grauens. Doch Seyedi und Khatibi haben fantastische Arbeit geleistet. Das Stück ist absolut konsequent. Jedes Material, vom Klang des Schabens und Schichten, bis hin zu den Bildern und Videoaufnahmen, jedes Material kommt aus der Thematik des Suchens und der Recherche.
Sie stellen das Schöne und das Angsteinflößenden hautnah nebeneinander, und darin gelingt ihnen eine emotionale Übertragung. Für ein Ereignis im Iran, über das das Publikum nicht viel weiß oder erfährt, erzeugen sie Empathie und Mitgefühl und machen nachvollziehbar, wie das im-Dunkeln-Tappen und das Ringen um Beweise sich anfühlen kann. Eine Nähe wird geschaffen und Distanz wird überbrückt. Die Grenzüberschreitungen zum Publikum sind kontrovers und stark, und doch ist es die Ehrlichkeit und brutale Genauigkeit, mit der die beiden Komponierenden das Thema auseinandernehmen, welche mich mit Gänsehaut entlässt. Auf dem Nachhauseweg denke ich noch, irgendwie war die Erfahrung auch heilsam.