Man könnte eine ganze Doktorarbeit darüber schreiben, oder eine ganze Menge guter ASMR-Videos drehen, allein über das Umblättern oder Verschieben von Papier. Es gibt diese scharfen Kanten, die sich mit einer Mischung aus Kreischen und Knirschen an den Metallringen der Bindung vorbeibewegen. Dieses Geräusch tut nicht nur in den Ohren weh, sondern ist auch erstaunlich laut. Das Knallen, wenn man große Blätter schwungvoll umblättert… wie gesagt man könnte eine ganze Menge darüber sagen. In Evan Johnsons “Plan and section of the same reservoir” kann man Christian Dierstein, dem Schlagzeuger des Trio Accanto, wunderbar dabei zusehen, wie er die Notenblätter mit aller Vorsicht zur Seite legt. Und dieses Stück hat es bitter nötig. Denn wirklich laut wird es nie – eher regelmäßig (zu) leise.
Das Werk beginnt schon sehr leise. Am präsentesten sind ein paar einzelne Klavierklänge, die ruhig und entspannend wirken und sehr punktuell eingesetzt werden. Dazwischen gibt es immer wieder Unterbrechungen. Saxophon und Klavier spielen. Das Schlagwerk ist stumm. So geht es eine Weile weiter – die Pausen sind zahlreich bis zu zahlreich. Zwar klingt das der Flügel, wenn er spielt, sehr melodisch und es ist sehr angenehm zuzuhören. Hier bewegt sich das Stück auf einem sehr schmalen Grad zwischen „Spannungsvoll“ und „Zerstückelt“. Aber zum Thema Zerstückelung kommt der Abend eigentlich erst im dritten Werk. In diesem erklingen plötzlich helle, laute Klavierklänge. Doch ganz in der Manier des restlichen Stücks wird es schnell wieder ruhig. Man hat jetzt aber das Gefühl, dass es nicht mehr ganz so leise ist wie zuvor. Es ist etwas mehr Schwung da. Die Musik ist für eine Weile dichter als zuvor. Man hat mehr Musik, weniger Pausen, doch es kehrt recht zügig wieder zum Anfang zurück. Ein längeres Solo für das Saxophon, dann ist auch das Klavier wieder dabei.
Man könnte auf die Idee kommen, dass dieses Stück eine einzige Pause mit Geräuschkulisse ist, doch die vielen Pausen sind sogar ein sehr interessanter Weg, um Spannung aufzubauen. Man kennt ja Werke, bei denen die Musik einem die Nerven zerreißt und man die Pausen braucht, um aufzuatmen. Doch hier ist es genau andersherum. Die Musik, ganz besonders, das Klavier, erschafft eine unglaublich angenehme, entspannte Stimmung, die aber sofort von der nächsten Pause zerrissen wird. Die Pause sorgt beim Zuhören für eine besondere Anspannung, die sich etwas komisch anfühlt und zu einem Interessanten Gegensatz gegenüber dem ersten, sehr schrillen Stück führt. Hier hilft das die Pausen zwar sehr häufig vorkommen, aber nicht besonders lang sind. Es ist ein steter Wechsel zwischen Anspannen und Entspannen. Dieser Effekt wird wahrlich meisterhaft erzeugt, auch wenn man sich etwas mehr Diversität an Ideen wünschen könnte. Das Stück macht mit seinen Bestandteilen sehr viel, aber besagte Bestandteile sind auf die Dauer doch recht eindimensional.
Doch laut Programmheft geht das Stück rund achtzehn Minuten, kommt da noch was? Ja, denn nun kommt nach einer gefühlten Ewigkeit auch das Schlagwerk hinzu. Es wird gepfiffen, Steine werden aneinandergeschlagen, mit einer Holzplatte Reibung erzeugt und mit einem Bogen über tellerförmige Metallplatten auf kleinen Ständern gestrichen. Dadurch wird eine gewisse, wenn auch sehr dezente klangliche Abwechslung geschaffen und das Stück geht eine Weile so weiter. Wieder viele Pausen – ziemlich genau das Motiv vom Anfang. „Nur“ etwas um Klänge bereichert. Dann wieder ein paar helle, lautere Töne und das Stück wird ruhig zu Ende getragen.
Man kann sich etwas mehr Abwechslung wünschen, auch geht das Stück etwas zu lang. Die Zeit zieht sich gegen Ende ganz schön. Trotzdem, ein sehr gut umgesetztes Konzept, auch wenn eine klatschende Person ausreicht, es zu übertönen.