Was haben ein Joghurtglas, ein ICE, Abwasser und eine Bohrmaschine gemeinsam? All diese Gegenstände werden von Carola Bauckholt in ihrem Musikstück „Brunnen“ verwendet. Klingt erstmal komisch, doch in der 15-minütigen Aufführung merkte man, welch eine Wirkung dadurch entfacht wurde. Neben Livemusik auch Originalaufnahmen, welche eingespielt wurden. Ganz nach Bauckholts Motto: „Neue Welten entdecken!“, wie Moderator Andreas Göbel es im Konzert nennt, kann man während des Stückes immer wieder neue Töne entdecken, was es sehr spannend macht und Lust erregt, weiter gespannt zuzuhören.
Der Einstieg ist eine Überraschung, denn nicht wie sonst üblich werden die Violinsaiten gestrichen oder gezupft, sondern eher gekratzt. Dies erzeugt eine einzigartige Geräuschkulisse, welche ich zuvor noch nie gehört habe. Es entsteht ein Kreislauf aus langen Tönen, welche immer wieder von dem kurzen, schnellen Kratzten abgelöst wurden. Und dann kommt der erste Einsatz des Brunnengeräuschs, kaum zu erkennen, weil das Plätschern so rhythmisch klingt und perfekt zu den Violinen und anderen Orchesterinstrumenten passt. Alle Streicher haben Joghurtgläser, mit denen sie die Saiten „greifen“.
Auch die Solocellistin Séverine Ballon erzeugt damit laute, hohe Töne, die an Sprungfedern erinnern. Diese Töne haben einen so genannten ASMR-Effekt. Dieser ist ein weltweites Internetphänomen und steht für „Autonomous Sensory Meridian Response“ – unabhängiges sensorische Meridianreaktion, welche ein entspanntes und beruhigendes Gefühl erklärt, das von der Kopfhaut ausgehend sich auf den ganzen Körper verbreitet. Auch beim Klang der Joghurtgläser auf den Saiten verspüren wahrscheinlich alle im Publikum eine Gänsehaut und Kopfkribbeln. Diese Spannung wird von den Posaunen und Trompeten unterbrochen, welche temporär in den Vordergrund rückten. Dann erklingt ein Glockenläuten, welches sich später als das ICE-Geräusch herausstellt. Die Spannungskurve lässt sich gut mathematisch mit der Sinusfunktion erklären. Ein Hoch und Ab der Gefühle! Es gibt jedoch in der Mitte des Stückes einen kleinen Abfall, weil das Cello zeitweise alleine spielte und die Abwechslung somit stellenweise fehlt. Ganz zum Schluss ist ein Abwassergeräusch zu hören, welches die Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf die Musik lenkt. Insgesamt finde ich dieses Stück von den Werken im Eröffnungskonzert das interessanteste, weil es am stärksten etwas Neues probiert hat.