„The medium is the message“ (Das Medium ist die Nachricht) lautete der ursprüngliche Titel des Hauptwerkes von Marshall McLuhan, in dem er sich mit Medien und Gesellschaft auseinandersetzt. Hintergrund dieses Gedankens ist, dass es in einer Welt voller Zeitung, Radio, Fernsehen, kurz, einer Welt voller verschiedener Medien und Informationsformen, die Art der Informationsübermittlung die Information und gesellschaftliche Reaktionen darauf beeinflusst. Das WIE verändere also das WAS. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, steht dieser kurze Exkurs in meinen Deutsch-Leistungskurs in direktem Zusammenhang mit dem Ultraschall-Festival 2022.
Unabhängig von der Coronapandemie und dem Fakt, dass sich Rahmen und Rolle von Musik in den letzten zwei Jahren verändert haben, ist das Ultraschall-Festival ein Projekt, das man im Coronasprech als Hybridveranstaltung bezeichnet: Auf der einen Seite haben wir dieses Jahr das Glück, dass richtige Konzerte, in Präsenz und mit Publikum stattfinden können. Auf der anderen Seite werden die Konzerte, ob live oder nicht, im Radio übertragen und können auf den Internetseiten der Radiosender nachgehört werden. Toll, dass es diese Möglichkeiten gibt!
Aber auch hier gilt „The medium ist the message.“ Das Medium, in diesem Fall ein Präsenzkonzert oder eine Radioaufnahme, beeinflusst die Botschaft, die in diesem Fall nicht inhaltlicher Natur ist. „The message“ ist hier die Musik und alles, was über sie vermittelt wird. Dazu gehören melodische und atonale Melodien, dazu gehören verschiedene Instrumente und ihre besonderen Klänge, dazu gehören aber auch die Gesichter der Musiker:innen, die Aufstellung des Ensembles, die Größe des Saals und das Husten des Publikums. Dass in einer Radioaufnahme „nur“ die auditiven Aspekte vermittelt werden können, liegt wohl auf der Hand. Schlecht ist das in keinem Fall, denn das Musikstück wird in seiner klanglichen Gänze übertragen. Es fehlen jedoch alle Blicke und Gefühle, die nur in Präsenz anzutreffen sind. Ohne diese Tatsache werten zu wollen, ist klar, dass die vermittelte „message“ eine andere ist. Betrachten wir als Beispiel ein Stück, in dem sogar Sprache in der Urform vorkommt: „AMO“ von George Lewis, vorgetragen von fünf Sänger:innen der „Neuen Vocalsolisten“ und Elektronik. Ein Auszug aus einem philosophischen Text von Anton Wilhelm Amo wurde in verschiedene Sprachen übersetzt, vertont und nun interpretiert. Durch die höchsten Höhen und tiefsten Tiefen höre ich die Sänger:innen wandern, laut und leise, unisono oder mehrstimmig klingt es aus meinen Kopfhörern. Beeindruckend, was alles in einer menschlichen Stimme steckt. Doch Moment, Elektronik ist doch auch beteiligt! Aber in meinem Zimmer sitzend konnte ich ihre Klänge gar nicht identifizieren. Nicht nur, dass ich auf die wahrscheinlich ausdrucksstarken Gesichter der Sänger:innen verzichten musste, nicht sehen konnte, wie sie ihre Münder öffnen, um den Saal mit Klang zu füllen. Durch perfekte Klangregie konnte ich nicht erkennen, welche Töne elektronisch erzeugt wurden. Nicht, dass es an der hervorragenden Qualität der Aufführung etwas ändern würde, aber das Hörerlebnis und die Erinnerung an das Konzert sind nun eine andere. Das ist wie in der Sprache: Wenn jemand seiner Freundin eine Liebeserklärung macht, kommt der Inhalt in einer WhatsApp-Nachricht auch an. Aber in einem echten Gespräch kann durch Blicke und Gesten noch viel mehr vermittelt werden.
McLuhan geht in seiner Medientheorie noch weiter. Aufgrund eines Schreibfehlers wird sein Werk, in seinem Einvernehmen, unter dem Titel „The medium ist the massage“ (Das Medium ist die Massage) veröffentlicht. Das zielt auf seine Idee ab, Medien seien die Erweiterung unseres zentralen Nervensystems und können so direkt unsere Sinne beeinflussen. Bleiben wir bei der Analogie zur Musik, massiert die Musik unsere Sinne. Eine passende Vorstellung, wie ich finde. Durch ihre klaren Stimmen dringen die „Neuen Vocalsolisten“ in meine Ohren, ihre im Forte gesungenen unisono-Passagen erschrecken und berühren mich tief. Welches Bild passt also besser, als die Vorstellung, Musik würde unsere Sinne massieren?