Meine Augen sind geschlossen, ich warte auf die ersten Klänge von „glut“, geschrieben von Dieter Ammann. Mit einem Ton, stark wie ein Glockenschlag, wird das UltraschallFestival 2022 eröffnet. Aus dem ersten Gong entwickeln sich ein Klingeln und Rauschen, bis das gesamte Sinfonieorchester in den Klang einsteigt und dieser wächst und wächst. Ich öffne die Augen und sehe nicht etwa konzentrierte Gesichter der Musiker:innen, sondern mein kleines Zimmer an einem Donnerstagabend in Mexiko. Von hier höre ich die Aufzeichnung des Eröffnungskonzertes nach. Der Klang aus meinen neuen Kopfhörern erfüllt zwar nicht mein ganzes Zimmer, aber zumindest mein ganzes Bewusstsein. Der gesamte Orchesterapparat wird von Dieter Ammann aktiviert, Bläser, Streicher, Schlagwerk bis hin zum Klavier spielen im Forte. Anders als in anderen Stücken Neuer Musik spielt Dieter Ammann nicht mit ungewöhnlichen oder präparierten Instrumenten oder Elektronik. Für ihn sei auch in der Neuen Musik eine „klassische Besetzung“ von Bedeutung, hat er uns UltraschallReporter:innen vor ein paar Tagen im Zoom-Interview gesagt. Ich bilde mir ein, diesen Gedanken nun zu hören. Unerwartet melodisch erschien es mir, als das Klavier aufsteigende Akkorde spielt und gleichzeitig Schlagwerk und Streicher erklingen, bis aufgeregte Bläser einsetzen. Grundsätzlich ist Aufregung ein Gefühl, dass ich während des gesamten Stückes verspüre. In keinem Moment habe ich ein entspannendes Gefühl. Eine innere Unruhe, ausgelöst durch den großen Klang der großen Besetzung beherrscht mich, bis zu dem Punkt, als das Stück mit einem Ton, der langsam zum Hauch wird, ausklingt. So packend, der erste Einstieg in das Festival!
Es folgte „Machine in echo“ von Luca Francesconi, für zwei Klaviere und Orchester. Größer könnte der Unterschied in meinen Augen nicht sein. In einem ruhigen Dialog beginnen die beiden Pianisten Andreas Grau und Götz Schumacher das Stück, und im Gegensatz zu Dieter Ammannns Stück höre ich hier die Personifikation von Atonalität. Sehr ruhig und entspannt, aber eben ohne erkennbaren „Melodieverlauf“ ertönen die Klaviere. Plötzlich schrecke ich hoch, als ein lauter Tonsprung ertönt, dann verfalle ich wieder in die entspannte Stimmung. Der Einsatz des Orchesters erweitert durch Harfe und Bläser, die mir vordergründig erscheinen, die klangliche Vielfalt des Stückes, auch steigert es sich zu aufgeregten Klängen. Und nach wie vor geht mir „Atonalität“ nicht aus dem Sinn.
Ich schließe meinen Konzertabend auf meinem Bett mit „Quicksilver“ von Milica Djordjević. Vielleicht liegt es an der vorangeschrittenen Uhrzeit, aber dieses Stück zieht mich am wenigsten in seinen Bann. Geprägt durch rhythmische Elemente steigert sich auch diese Komposition zu einer großen Klangfläche. Doch anders als Ammanns Werk reißt sie mich nicht auf diese positive Weise mit. Ich warte auf das Ende der Klänge und klatsche in Gedanken, als das Publikum im Großen Sendesaal im Haus des Rundfunks in Berlin den Applaus beginnt.