Das Accanto-Trio besteht aus Klavier, Schlagzeug und Saxophon. Die drei Musiker spielen hier beim Festival Ultraschall Berlin und ich hatte das Glück, ihrer Probe zuhören zu dürfen. Die experimentellen Klänge des Saxophons beeindrucken mich besonders; interviewe ich den Saxophonisten Marcus Weiss. Direkt nach der Probe, kaum zusammengepackt, spreche ich ihn an.
Wann haben Sie angefangen, Saxophon zu spielen und wann haben Sie angefangen, sich für neue Musik zu interessieren?
Mit sechzehn habe ich begonnen; das sind dann jetzt schon 42 Jahre. Dann habe ich klassisches Saxophon studiert und mich schon während des Studiums für andere Sachen interessiert. Ich habe Jazz gemacht und Improvisationen, und so bin ich auch zur modernen Musik gekommen. Das liegt auch ein bisschen daran, dass es für klassisches Saxophon nur wenige Werke gibt. Da sind vielleicht 10 Stücke und das wars. Darauf kann man keine Karriere aufbauen.
Wann hat sich das Trio Accanto gebildet?
Wir sind jetzt seit 2013 ein Trio mit Nicolas Hodges. Und vorher gab es uns auch schon mit einem anderen Pianisten, gefühlt 20 Jahre. Genau weiß ich das gar nicht. In dieser Zeit haben wir etwa 120 Werke uraufgeführt.
Sind die beiden anderen Musiker des Trios auch so früh zur neuen Musik gekommen?
Ja also unser Schlagzeuger hat sich sehr schnell darauf fokussiert, weil es einfach kein wirklich „klassisches Schlagzeug“ gibt. Da macht man dann entweder Orchester oder Zeitgenössisches. Und Nicolas spielt immer noch viel Klassik; zum Beispiel viel Beethoven. Er hat aber schon früh angefangen, Komponisten zu treffen, sich über neue Musik zu informieren.
Spielen Sie auch noch manchmal klassische Saxophonliteratur?
Jaja, ich spiele eigentlich noch sehr viel solche Sachen. Damit kommt man nicht auf die großen Bühnen, aber wenn man mit guten Kollegen zusammenspielt, macht das allemal Spaß. Wir haben in der letzten Zeit mit meinem Saxophonquartett zum Beispiel viele Fugen oder generell polyphone Musik gespielt. Orgelfugen von Beethoven zum Beispiel; Sachen, die die Leute gar nicht unbedingt kennen. Wir haben auch viel ganz alte Musik gespielt, Gesualdo zum Beispiel. Das liegt mir sehr am Herzen.
Würden Sie trotzdem sagen, dass die Neue Musik Ihre Leidenschaft ist?
Die Musik ist meine Leidenschaft! Würde ich Klarinette spielen, würde ich wahrscheinlich viel Brahms und Mozart spielen und auch weniger neue Musik. Aber als Saxophonist, wenn man da auf hohem Niveau auftreten möchte, kann man gar nicht anders als neue Musik zu machen. Das geht nicht mit Debussy oder Glasunow, da kommt man alle 10 Jahre mal dran. Andere, die eine klassische Karriere anstreben, spielen dann Transkriptionen von Geigenkonzerten, aber ein Saxophon ist einfach keine Geige! Und diese Transkriptionen bringen für mich dann keinen Mehrwert.
Sie spielen heute Abend im Konzert vier verschiedene Stücke. Haben Sie ein Lieblingsstück?
Nein, eigentlich nicht. Das sind wirklich vier verschiedene Stücke, vier unterschiedliche Stile. Natürlich gibt es Verwandtschaften, aber auch riesige Kontraste. Die ähnlichsten Stücke sind vielleicht die von Yu Kuwabara, unser erstes Stück heue Abend, und das letzte, von Georges Aperghis. Aber trotzdem handelt es sich um ganz unterschiedliche Arten von Ästhetik.
Beim Lesen über die Stücke bin ich über das Stück von Christian Wolff gestolpert. Die Beschreibung eines Stückes, dass in jeder Besetzung gespielt werden kann, hat mich an Minimal Music, speziell an das Stück „In C“ von Terry Riley erinnert. Würden Sie sagen, diese beiden Stücke haben etwas gemeinsam?
Ja, natürlich. Also erstens sind sie beide Amerikaner. Wolff ist schon früh in die USA emigriert. Dadurch haben die beiden einen ganz anderen Ernst als Deutsche. Wolff ist wirklich kein klassischer Komponist. Seine Werke sind sehr nah bei John Cage, bei dem er auch Unterricht hatte. Die Stücke „In C“ und unser heutiges Stück von Wolff haben gemeinsam, dass sie lose und locker sind, fast schon demokratisch. Es gibt nie dieses trockene Zusammenspielen, es hat etwas Freies. Das Tempo ist sehr frei, an manchen Stellen kann man transponieren wie man will, weglassen, was man will und muss überhaupt nicht zusammenspielen. Aber man muss natürlich versuchen, dass dieses Freie auch beim Publikum ankommen und nicht nur ein Spaß für die Musiker ist. Andere Stellen sind vertikal notiert, das heißt, sie sollen zusammengespielt werden. Aber nicht stur zusammen, gleichzeitig lose… Erst wenn man diese verschiedenen Möglichkeiten kennt, kann man damit spielen und erst dann wird es wirklich interessant.
Während der Probe habe ich gesehen, dass Sie verschiedene Spieltechniken benutzt haben. Sie haben zum Beispiel an einigen Stellen ohne zu blasen mit den Klappen gespielt. Ist es ihrer Meinung nach schwieriger, neue Musik als klassische Musik zu spielen?
Die Erweiterung der Spielweisen gehört inzwischen einfach dazu, finde ich. Es gibt viele Komponisten, die bauen in ihre Stücke lauter neue Techniken ein und meinen dann, es wäre zeitgenössische Musik. Oft ist es aber nur eine weitere Form Paganinis oder des Jazz. Ich finde, diese neuen Techniken sind nicht der Inhalt neuer Musik. Diese Spieltechniken gehören zu neuer Musik wie das Crescendo in die barocke Musik. Es gibt Noten, die sind für bestimmt 50% der ausgebildeten Musiker nicht spielbar, weil sie sich nie ernsthaft mit neuen Spieltechniken und auch nicht mit der Denkweise der neuen Musik auseinandergesetzt haben. Für klassische Musiker ist jede Art der Musik entweder ein Lied, oder ein Tanz. Aber neue Musik ist einfach nicht so.