Regentropfen fallen vereinzelt auf eine leere Straße. Auf dieser Straße läuft eine Person. Sie ist auf der Suche nach Etwas. Je länger sie sucht, desto geladener wird sie, die erschlagende Angst im Hinterkopf, dieses Etwas nicht zu finden.
In Wirklichkeit sind die Regentropfen die gezupften Saiten einer Bratsche und einer Geige, die so verbunden eine Melodie zaubern, als seien sie einander ganz verfallen. Diese Melodie ist zärtlich, verträumt und regt den Kopf dazu an, Geschichten zu erzählen. Immer wieder verführt sie dazu, zur Person in den Regenschleier zu schweifen. Doch dann: Auf der Bühne steht ein Hocker. Seine Beine sind knallpink. Sofort wird man wieder in die Realität gezogen. Auf ihm sitzt die Bratschistin. Dieser Hocker steht im perfekten Widerspruch zur melancholischen, nostalgischen Welt, die das Ensemble „Notos“ auf der Bühne entstehen lässt. Irgendwie hat er eine provozierende Wirkung. Was will uns Notos mit diesem Hocker sagen?
Das Ensemble besteht aus einer Bratsche, einer Violine, einem Violoncello und einem Klavier. Gemeinsam spielt die Gruppe alte, aber auch neue Musikstücke. Eine schwer greifbare, aber stark wahrnehmbare Intensität zwischen den Musikern, aber vor allem zwischen ihren Instrumenten schwappt auf die Zuschauer über. Jedes Zupfen oder Streichen klingt wie eine unmittelbare Antwort auf den vorherigen Ton. Sie wirken nicht wie mehrere Musiker, die unabhängig voneinander die Noten vom Blatt spielen, sondern sie erwecken gemeinsam ein Wesen zum Leben, das in sich vollkommen geeint ist. Woher stammt dieses Wesen?
Die Antwort liegt vor allem in langen Gesprächen zwischen den Musikern. Die Spielanweisungen der Komponisten sind zwar sehr exakt, aber das allein macht noch nicht die Stimmung des Stückes aus, erzählt Violoncellist Philip Graham nach ihrer Probe. Es gibt immer ein bestimmtes Bild, das entstehen soll. Zum Beispiel ein See. Oder Naturgeister in Mexiko. Dann wird geprobt, geredet, geprobt. Einen Chef gibt es dabei nicht. Und irgendwann, nach einer gewissen Zeit „empfindet man das Stück gemeinsam, spürt man den gleichen Puls“, so Philip.
Den gleichen Puls spürt das Ensemble schon seit 2007. Seitdem sind sie schon durch „viele Höhen und Tiefen“ gegangen, wie die Pianistin Antonia Köster bemerkt. Auch die gemeinsamen Reisen haben aus ihnen eine sehr intensive Gruppe gemacht. Manchmal merkt man das auch bei Aufführung. „Es gibt so Momente auf der Bühne, wo es klickt, und dann wird man so eins. Man hat einen gemeinsamen Klang“, sagt Violinist Sindri Lederer. Dieser gemeinsame Klang ergreift auch den Zuschauer in berauschenden Wellen. Oder eben in Regentropfen.
Übrigens: Der pinke Hocker ist nicht Teil der Inszenierung. Er hat keine Botschaft und er soll auch nicht provozieren. Aber das ist gerade das Schöne an neuer Musik: Alles, auch ein pinker Hocker, ist Interpretationssache…