Wie hören wir neue Musik richtig? Diese Frage ist wohl kaum zu beantworten. Vermutlich, weil schon die Frage eine völlig falsche Herangehensweise an dieses Genre birgt. Im Gespräch mit Andreas Voss, dem Cellisten des Ensembles LUX:NM für zeitgenössische Musik, wurde mir bewusst, dass es beim Hören neuer Musik kein Richtig und kein Falsch gibt.
In der Probe des Ensembles fiel es mir oft schwer, beispielsweise zuzuordnen, welcher Klang von welchem Instrument ausgeht. Ich habe viel darüber nachgedacht und versucht, dies festzustellen. Aber vielleicht muss das gar nicht unbedingt sein. Möglicherweise sollten Zuhörer neuer Musik weniger nachdenken und stattdessen sich einfach dem Klang überlassen.
Laut Voss stellt neue Musik einen „Bruch von Symmetrie“ dar. Es entstehen Klänge, die das menschliche Ohr nicht kennt, nicht erwartet und somit nicht einordnen kann. Das menschliche Gehirn versucht gern, Strukturen zu verstehen, Klänge einzuordnen und eine gewisse Symmetrie zu erkennen. Dies fällt bei neuer Musik schwer, ist oft gar nicht möglich und sie ist auch schlichtweg gar nicht dazu gedacht. Neue Musik konfrontiert das menschliche Ohr durchaus mit neuen Problemen. Um diese zu „lösen“ – oder viel mehr, um neue Musik anders wahrzunehmen und diese Probleme somit gar nicht erst aufkommen zu lassen –, kann es helfen, diese Musik wie ein Gemälde zu betrachten. Ein Gemälde, das bei nahem Anblick unscharf, verschwommen und kaum erkennbar zu sein scheint. Nun ist es nötig, ein wenig zurückzutreten und das Ganze von weiter weg zu betrachten, um das Gesamtbild zu erkennen. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Hören neuer Musik. Es ist nicht nötig, jeden Ton, jedes einzelne Geräusch bewusst wahrzunehmen und bis ins letzte Detail zu analysieren und zu verstehen. Unser Unterbewusstsein nimmt die verschiedenen Klänge ganz von selbst wahr und fügt sie in unserem Kopf zu einem klanglichen Gesamtbild zusammen, ohne dass wir dafür etwas tun müssen – Lediglich zuhören.
Andreas Voss erklärte, Kinder seien perfekt für Neue Musik. Denn sie sind nicht, wie jeder erwachsene Mensch, der mit einer Kultur aufgewachsen ist, „verbildet“, sondern hören neue Musik vollkommen unvoreingenommen. Erwachsene haben oft Berührungsängste bei den vielen neuen, fremden Klängen, die es erschweren, neue Musik „einfach so“ zu hören. Kinder haben einen intuitiven Zugang zu neuer Musik und nehmen die Klänge so wahr, wie sie sind. Sie haben sofort Assoziationen mit ihnen bekannten Geräuschen aus dem Alltag und lassen die durch verschiedene Klänge entstehenden Emotionen zu, ohne viel darüber nachzudenken, wie welche Töne entstehen, welche Wirkung sie haben und weshalb. Sie lassen es einfach geschehen.
Die Kunst des Zuhörers neuer Musik ist es also, Gedanken über Gut und Schlecht auszublenden und die Klänge einfach wahrzunehmen und auf sich wirken zu lassen und damit verbundene Glücksgefühle, Unwohlsein, Erinnerungen und Emotionen zu spüren und zuzulassen.