„Mir liegt es nicht, schöne Lieder zu spielen“ sagt Gunnhildur Einarsdóttir, die Harfenistin des Ensembles Adapter, und muss dabei ein bisschen lächeln. Wenn die Familie der gebürtigen Isländerin zusammenkommt, möchten alle die harmonischen, gezupften Klänge hören, die unsere Ohren von dem Instrument gewohnt sind. Die Harfe ist – trotz ihrer imposanten Gestalt – die Sanfte unter den Instrumenten; ihre Formen sind weich geschwungen, die Seiten spannen sich filigran im Dreieck. Ihre allgemein anerkannte Rolle ist die eines verträumten, gerne mal im Engelschor oder Feenwald auftretenden Saiteninstruments. Aber: die Harfe hat auch eine „dunklere, stärkere Seite“ – und diese Seite möchte Gunnhildur bespielen.
Sie sieht sich nicht nur als Harfenistin, sondern auch als eine Forscherin. Wer Neue Musik spielt, verlässt also die breit getretenen Pfade der Vorgänger und schlägt sich in ein Dickicht aus neuen Tönen – auch auf die Gefahr hin, dass nicht alles nur „schön“ klingt. Denn „Musik kann auch hässlich sein“, findet Gunnhildur, und natürlich gibt es auch Leute die sich dann fragen: Ist das noch Musik? Aber das fragt sie sich auch selber manchmal, erklärt die Harfenistin und vergleicht das Genre mit der modernen Kunst: beide Richtungen wollen etwas beim Betrachter oder Zuhörer provozieren. Genauso wie bildene Künstler mit verschiedenen Farben und Techniken auf der Leinwand experimentieren, geht es auch beim Ensemble Adapter viel darum zu improvisieren und Neues zu entdecken. Die vier Musiker klackerten für Kompositionen schon mit Kugelschreibern, spielten eine Lichtorgel und nutzen auch die eigenen Stimmen als Instrument. In den Regalen des Proberaums im Wedding findet sich neben Trommeln und Rasseln auch eine beträchtliche Sammlung von Kuhglocken in allen Größen, die Gunnhildurs Mann Matthias Engler (der Schlagzeuger des Ensembles) auf Flohmärkten gefunden hat.
Gunnhildur beugt sich zur Seite und öffnet eine Art Kosmetiktasche, deren Fächer mit den unterschiedlichsten Gegenständen gefüllt sind – ihre „Spielzeuge“. Da ist zum Beispiel ein Bündel faseriges, helles Bogenhaar, das sie sich selbst vom Geigenbauer abholt. Sie fädelt das Bündel zwischen den Harfensaiten hindurch und bewegt es langsam hin und her: die Harfe schnurrt! Dann gibt es auch noch kleine Haarklammern, die, wenn Gunnhildur sie an die Saiten knipst, dem Klang der Harfe eine ganz andere Farbe geben. Als letztes holt die Musikerin ein kurzes, glänzendes Metallrohr hervor, das sie zwischen die Saiten klemmt und herunter wandern lässt. Die Töne sind so fremd, dass man kaum glauben kann, dass sie aus einer Harfe kommen. Auf ihrer online-Enzyklopädie www.harpnotation.com sammelt Gunnhildur diese neuen Techniken, eine Harfe zu spielen – von Pinseln über Flummibälle bis zu Trinkgläsern ist alles dabei.
Zu ihren Lieblingen in der modernen Harfenmusik gehört unter anderem der italienische Komponist Luciano Berio. Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen Musik und komponierte im Zuge seiner „Sequenza“-Reihe in den 60er Jahren auch ein Stück für die Harfe: „Sequenza II“. Die Harfenistin vom Ensemble Adapter sieht in diesem Solostück einen wichtigen „Durchbruch“ für die moderne Harfe im 20. Jahrhundert. Auch Berio wollte schon vor mehr als 50 Jahren das „kräftige, aggressive Gesicht“ der Harfe zeigen – genauso wie Gunnhildur Einarsdóttir es heute tut.