Der Hörer möge sich eine Tänzerin und zwei Tänzer zu der Musik der Perspektiven vorstellen“, so habe es der Komponist des Stücks Bernd Alois Zimmermann vorgeschlagen, erklärt Festivalleiter Andres Göbel vor dem Konzert im Heimathafen Neukölln. Doch inwiefern lassen sich mit der Musik wirklich die klassischen Bewegungen und tänzerische Ästhetik assoziieren? Ich bin Schülerin der Staatlichen Ballettschule Berlin und möchte dieser Frage nachgehen.Nach einem kurzen Augenblick erwartungsvoller Stille, vernimmt man zuerst nur sehr leise und tiefe Töne eines Klaviers. Sofort stelle ich mir vor, wie eine junge Tänzerin die Bühne betritt. Nochmals folgt eine kurze Ruhepause. Dann spielt dss Instrument eine behutsame und ruhige Melodik mit höheren Tönen. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie sich die Tänzerin immer mehr dem Tanz hingibt. Zuerst sind ihre Bewegungen klein, etwas unsicher und im Tempo langsam, doch gewinnt ihr Auftreten mit jedem Ton an Selbstbewusstsein. Ihr Stil, indem sie tanzt, vermischt das klassische Ballett mit modernsten Tanzstilen. So lassen sich in manchen Phrasen eindeutig aus der Musik die Tippelschritte der Ballerina in ihren Spitzenschuhen heraushören, während sie sich in anderen Phrasen ästhetisch über den Boden rollt.
Plötzlich setzt das zweite Klavier mit schwereren tiefen Tönen ein, welche eindeutig einen Tänzer charakterisieren. Direkt nach dessen Auftreten nimmt er die Tänzerin im Raum wahr und versucht, sie für sich zu gewinnen. Doch diese scheint noch ganz in ihrer eigenen Welt zu stecken. Erst durch eine Reihe mehrerer großer, schneller Sprünge erlangt der Tänzer immer mehr ihre Aufmerksamkeit. Schließlich tanzen sie gemeinsam ein Pas de deux. Doch irgendwie scheinen beide nicht für einander bestimmt zu sein, denn immer wieder reißen sie sich voneinander los und tanzen Halbsoli. Mal dreht die Frau unzählige Pirouetten und ein anderes Mal fliegt der Tänzer förmlich mit voller Dynamik über die Bühne. So entwickelt sich das Stück von einem anfänglichen Adagio mehr und mehr zu einem Allegro.
Als der “männliche” Pianist sich, gefolgt von einer ganz neuen Melodik, mehrmals auf die gesamte Klaviatur legt, scheint das Stück seinen Höhepunkt zu erreichen. So hat ein zweiter Tänzer die Bühne betreten und beginnt die Frau ebenfalls mit seinem Tanz zu umwerben. Die Musik ist sehr dynamisch und wirkt aufgebracht, so als stritten sich die beiden Männer in ihrer tänzerischen Ästhetik um die Frau, indem sich tiefe Töne beider Klaviere abwechseln. Dazwischen ertönen immer wieder die hellen Töne, welche die Tänzerin aufgebracht zwischen den beiden Streithähnen zeigen.
Auf einmal ist Stille und es wirkt, als lägen die beiden Tänzer vor Erschöpfung am Boden. Doch nun stellt die Tänzerin nochmals vollkommen ihr Können unter Beweis. So entwickeln sich wieder leise Töne, über ein aufgeregtes Tippeln, bis hin zur dramatischen Hingabe in der Bewegung ihres gesamten Körpers.
Noch ein letztes Mal klingen beide Klaviere in ihrer vollen Dynamik. Dann wird dem Ganzen ein abrupter Schluss gesetzt. Meiner Meinung nach war dies kein Happy-End, doch dies ist eine Frage der „Perspektiven“, so wie alles in diesem Stück zu sehen ist.
Als Fazit kann ich damit sagen, dass ich mir eindeutig das imaginäre Ballett vorstellen konnte. Doch ist wichtig festzuhalten, dass die Musik dabei nicht als Begleitmedium zum Tanz gesehen werden muss, sondern, dass mit der Musik die Bewegungen des Tanzen verklanglicht dargestellt werden.