Nach den letzten Soundchecks beginnt die Generalprobe von Mischa Käser. Ich sitze alleine im dunklen Saal des Heimathafens Neukölln und warte gespannt auf die ersten Klänge. Die Stücke, die er aufführt, sind eine bunte Mischung aus verschiedenen Instrumenten. Solche, die man kennt, andere, die ich noch nie gesehen habe. Und natürlich seiner Stimme. Einige der Werke faszinieren mich, von anderen bin ich eher irritiert. Gerade durch den großen, leeren Raum wirkt es regelrecht unnatürlich. Der Zusammenhang der einzelnen Stücke ist überraschend.
Herr Käser, woher kommt Ihre Idee für die Instrumente, die Sie benutzen wollen? Das ist ein buntes Sammelsurium, ein Würfelbecher ist zum Beispiel dabei.
Das ist Zufall. Jedes Instrument und jedes Stück damit hat seine Geschichte, weil ich verwende, was gerade greifbar ist. Das Schubladophon zum Beispiel, das war ein Auftrag an Schüler. Im Kunstunterricht hatte eine Klasse die Aufgabe, Instrumente zu gestalten. Und danach lagen die einfach herum. Die Schüler machen etwas, aber es interessiert das Resultat sie eigentlich gar nicht. Ich diese kreierten Schätze entdeckt und gekauft. Die haben gestaunt, dass jemand sie nicht nur verwenden will, sondern sogar dafür bezahlt. Das mittelalterliche Psalterium habe ich selbst gebaut. Dann hab ich ein Stück Dachrinne, was ich halt so finde.
Stecken auch Geschichten hinter Ihren Stücken?
Es stehen immer Geschichten dahinter, aber nicht unbedingt narrative. Ich probiere immer alles Mögliche aus, nehme mich dabei auf und schreibe daraus Konzepte. Immer ist es „work in progress“, ich verändere Kleinigkeiten, die für den gelegentlichen Zuhörer vielleicht kaum zu bemerken sind, für mich aber riesengroß. Meine Stücke ändern sich praktisch mit jedem Konzert.
Der Schwerpunkt des Festivals ist in diesem Jahr die Stimme. Sie ist das wichtigste Medium. Wie ist Ihr Verhältnis zur Stimme? Wie haben Sie entdeckt, dass Ihr Umgang mit der Stimme das Richtige für Sie ist?
Da gibt es zwei Schienen. Das eine ist das Ausprobieren. Ich komme nicht vom Gesang her, sondern vom experimentellen Gedicht, könnte man sagen. Ich bewege mich im Zwischenbereich zwischen Poesie und Gesang. Das Ergebnis hat aber nichts mit dem zu tun, was ich als Komponist auch mache, nämlich Gedichte in Musik setzen. Dabei schreibe ich dann auch für „konventionelle“ Gesangsstimmen. Dann habe ich noch ein Projekt, bei dem ich versuche, das, was ich selbst mache, für mehrere Stimmen zu komponieren. Für die Neuen Vokalsolisten, die ja bei Ultraschall Berlin auch auftreten, habe ich schon jede Menge Sachen geschrieben. Das ist sehr kompliziert aufzuschreiben, es geht nicht nur über Noten. Da muss man viel zeigen.
Sie sind ja Schweizer. Beeinflusst das Schwyzerdütsch das, was sie performen? Ich hatte bei der Probe sehr stark den Eindruck, dass das von ihrer Muttersprache abhängt.
Das ist eine gute Frage! Wenn ich schreibe, steht das nicht im Vordergrund. Aber gewisse Dinge, die ganz schnell ablaufen und die man nicht mehr kontrollieren kann, da spielt sicher Dialekt eine Rolle. Wenn es ganz schnell gehen muss, dann gehen aber nur bestimmte Abfolgen von Phonemen, das hat dann mit dem Schweizerdeutschen gar nichts mehr zu tun, sondern es wird eine reine Klangfarbensprache. Der Ursprung ist eher eine Art Glossolalie, eine Zungenrede. Bei den Urchristen hat man davon gesprochen, wenn der Heilige Geist einfährt, dass man einfach drauflos redet und jeder versteht, was gemeint ist. Eine erfundene Sprache, eine unkontrollierte Sprache, die einen irgendwo hinführt. Je nachdem, was für einen Ausdruck die Phoneme haben, ergibt sich das Stück. Wo die Geschichte beginnt, ist schwer zu sagen. Wenn ich den Mund aufmache, das ist so, als wenn jemand ein Blatt Papier und Farbe nimmt und erst einmal wild herumkleckert. Plötzlich merkt man: Ah, das ist ja eine Form hier. Da male ich mal weiter.
Im Programmbuch steht, dass Sie im Moment frei aus einem Klangsammelsurium schaffen. Wie viel Improvisation hören wir, wieviel ist jedes Mal neu?
Das sind jetzt aber zwei Fragen. Das Sammelsurium hat ja mit der Improvisation nichts zu tun…
In jedem Konzert müssen Sie doch Entscheidungen treffen, wie etwas weitergeht. Wie groß sind diese Entscheidungen?
Vielleicht noch einmal zum Sammelsurium erst. Es gibt sehr viele Stücke, die vielleicht im Geist zusammengehören, die aber extrem verscheiden sind. So wie in einem l‘art-brut-Museum. Auf zwei Quadratmetern hast Du diese Welt und auf den nächsten zwei Quadratmetern eine völlig andere. Trotzdem sind die Verbunden durch ihre unorthodoxe Weise, die Welt zu betrachten.
Für mich ist wichtig, wie man die Abläufe darin klärt. Zu vergleichen ist das mit romantischen Liedzyklen wie bei Schubert, Schumann. Wenn man sich anschaut, wie die ihre Stücke geordnet haben, dann ist das, was ich mache, eigentlich genau das Gleiche. Ganz einfach gesagt, Du hast schnelle Sachen und nach soundso vielen schnellen müssen wieder langsame Teile kommen. Dichte, die sehr auf die Harmonik beschränkt sind, tiefschürfende… Bei Schubert und Schumann kommen nicht vier Adagios und dann fünf schnelle Stücke. Vielleicht kommen zwei langsame, aber dann ganz sicher ein schnelles. Dieses zyklische Denken, oder wenn man noch weiter zurückgeht, das suitenartige, wo man Tanzsätze hat, das ist genau dasselbe.
Und zum Improvisieren, wie vorhin schon gesagt: Für den Zuhörer wäre es sehr schwierig, zu sagen, dass sich überhaupt etwas ändert, wenn er zwei Konzerte hören würde. Aber für mich sind es große Änderungen, die nur vom Atmosphärischen und Formalen her gleich sind.
Besonders schwer sind dabei Reime. Ich muss in einem rein improvisierten Phonemablauf das Metrum einhalten und mich gleichzeitig erinnern, was der Reim ist, ohne ihn genau zu wiederholen. Manchmal gehe ich irre Wege und weiß nicht mehr, wo ich hin muss. Ich weiß auch wieder nicht, ob es wirklich jemand hört, aber wenn ich mich beim Reimen irre, klingt es für mich selbst sehr falsch. Die virtuosen Sachen sind dagegen richtig einfach!
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