Eher spontan besuchte ich gestern Abend das Eröffnungskonzert des Ultraschall-Festivals. Unvoreingenommen und unvorbereitet hatte ich lediglich einen flüchtigen Blick auf das Programm geworfen. Die Komponisten waren mir eher vage bekannt – man kann ja nicht jeden kennen. Schnell stellte sich heraus, dass es ein Programm werden würde mit Werken von Komponisten, die einen direkten Bezug zu Amerika haben. Das kann doch ganz interessant werden. Was man dann zu hören bekam, lässt sich kaum in Worte fassen, doch der Reihe nach.
Den Auftakt bildete Aaron Jay Kernis’ „Musica Celestis“ (1990). Das Stück bezieht sich in Teilen, wie Festival-Leiter Andreas Göbel in wenigen Worten erläutert, auf Wagners “Lohengrin”-Vorspiel. Kernis entnimmt der Vorlage einzelne Akkorde und blendet sie sanft ineinander über, entwickelt sie weiter und ergänzt zunehmend Rhythmen und Melodien. Der Titel lässt sich am ehesten als „Himmelsmusik“ oder „himmlische Musik“ übersetzen. Hier hat jemand offensichtlich versucht, schöne Musik zu komponieren. Das ist ihm sicherlich gelungen, wenn auch hörbar gewollt und furchtbar pathetisch. Göbel stellt den treffenden Bezug zu Samuel Barbers „Adagio for Strings“ (1938) her. Doch passt das zu Ultraschall? Ich würde wohlwollende 5 von 10 Punkten vergeben.
Es folgt ein 2013 komponiertes Klavierkonzert von Philip Lasser. Das Hauptmotiv des ersten und letzten Satzes sind Bach entliehen, zwischendurch erklingt noch der Beginn von Ravels „Pavane pour une invante défunte“. Der Rest ist zeitfüllendes Beiwerk, arpeggierte Akkorde und belanglose Sequenzen. Gelegentlich versuchen einige schräge Einwürfe kläglich, dem weitestgehend tonalen Stück einen modernistischen Anstrich zu verpassen. Andreas Göbel weist in seiner Kurzeinführung darauf hin, dass Lasser den Versuch unternommen habe, das (etwas umständlich als zweidimensional bezeichnete) Klavier durch das Orchester um eine Dimension zu erweitern. Wieder so ein Werk, das mangelnde Qualität durch einen theoretischen Überbau kompensieren muss. Lasser hat keine Einfälle und weiß mit dem spärlichen Material nichts anzufangen. Der Beiname des Konzerts „The Circle and the Child“ wird zum Programm: Das Stück ist ausgesprochen kindisch komponiert.
Die Enttäuschung war groß, aber die Facetten der Enttäuschung können vielfältig sein. Sei es ein Helmut Lachenmann, der seit etlichen Jahren in seiner musikalischen Sprache stagniert oder ein Wolfgang Rihm, der in letzter Zeit milde, geradezu langweilig geworden ist. So stellen beide jedoch nach wie vor unter Beweis, dass sie ihr Handwerk beherrschen. Wer hingegen wie Lasser solch ein Klavierkonzert schreibt, hat sich meines Erachtens als Komponist disqualifiziert. 1/10, er hat sich im Rahmen seiner Möglichkeiten bemüht.
Nach der Pause gibt es eine wahrhafte Kuriosität zu hören: Ein Rapper, der auch Opern, Kammermusik und Konzerte komponiert. So etwas lässt aufhorchen! Seine „40 Changing Orbits“ (2012) stellten jedoch den Tiefpunkt des Abends dar. Das Orchesterstück versuchte, jenseits der Genres zu komponieren. Mag sein, dass Pritsker diesem Anspruch gerecht wird, allerdings lässt sich darüber hinaus nichts positives über sein Werk berichten. Patternartig werden schlichte Melodien über simple Popharmonik gesetzt. Dazu eine gehörige Spur Kitsch und etwas Schlagzeug. Hat da jemand im Papierkorb von Hans Zimmer gewühlt? Wer so komponiert, ist vielleicht besser in Hollywood aufgehoben. Das ist man vom Ultraschall-Festival wahrlich nicht gewohnt, aber wie wäre es beim nächsten Jahr mit der gesamten „Star Wars“-Suite anlässlich John Williams’ 85. Geburtstag? Ich werde die Punkteskala in den negativen Bereich erweitern müssen.
Eine echte Überraschung stellt da Roberto Sierras 2002 komponiertes Saxophonkonzert, genauer gesagt der Solist James Carter, dar. Bravourös meistert Carter seine hochvirtuose Partie, die leider gegenüber dem Orchester etwas zu dominant geraten ist. Sierra kann allerdings mit einem sehr solide komponierten Stück beweisen, dass er seine Kunst versteht. Das Konzert ist keine Offenbarung, strotzt jedoch vor Vitalität, toller Einfälle und einem gesunden Humor, wie etwa ein sich zum Chaos steigernder Blues im letzten Satz beweist. Der klare Star des Abends bleibt zweifellos James Carter, der mit seinem Spiel irgendwo zwischen Interpretation und Improvisation innerhalb kürzester Zeit das Publikum für sich gewann. Er performte mit Sexappeal, ohne anzüglich zu wirken und gerade mit so viel Komik, dass es nicht ins Lächerliche umschlug. Neben anderem Klamauk konnte seine Parodie auf den Donauwalzer einige echte Lacher provozieren. „ba, badadada…DAMM-DAMM!…DAMM-DAMM!“ Das Stück bildete einen schönen Kontrast, da es einfach gut unterhielt und sich nicht zu ernst nahm. Ich lasse für einen Moment die zuvor gehörten Stücke von Kernis, Lasser und Pritsker vor dem inneren Ohr revue passieren und frage mich: Meinen die das ernst? Sierra: 8/10, Carter: 10/10.
Mein Fazit lautet daher: Wer dieses Jahr das Ultraschall Eröffnungskonzert verpasst hat, hat nichts verpasst.
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