Breath for Mathilde entstand als Saxofonstück mit Elektronik im Rahmen einer Residenz von Zeynep Gedizlioğlu am IRCAM in Paris, jenem einst von Pierre Boulez gegründeten Forschungszentren für elektronische Musik, wo bis heute Musikgeschichte geschrieben wird. Das Werk wurde für die Saxofonistin Mathilde Salvi komponiert, die es 2011 am IRCAM uraufgeführt hat. Im gleichen Jahr hat es Zeynep Gedizlioğlu darüber hinaus in einer längeren Fassung ohne Elektronik ausgearbeitet.
In diesem Solostück, dessen Partitur auf Taktstriche verzichtet, ist jedoch ein Dialog in der Saxofonlinie einkomponiert. Die Komponistin schreibt die Vortragsbzeichnung Dolce cantabile vor, bemerkt aber gleichzeitig, die in der Partitur mit Akzenten versehenen Noten sollten nicht zu »komfortabel« gespielt werden. Ein weiterer Hinweis auf das Dialogische und die Doppelbödigkeit im Saxofonsolo ist die Spieltechnik des sempre bisbigliando, »immer flüsternd«, was zwischendurch von einzelnen ordinario gespielten Tönen vollklingend durchkreuzt wird. Das Werk beginnt als instrumentales Melisma in Sekundschritten und mikrotonalen Schritten in einem engen Tonraum, bei dem die akzentuierten Töne kontrastierend hervorblitzen. Die Melodie entwickelt sich im weiteren Verlauf rhythmisch komplexer mit punktierten Werten, Quintolen und Triolen. Ab der Mitte des Stücks ergeben sich schärfere Kontraste: Die akzentuierten Töne werden nun sforzato betont, somit extremer hervorgehoben, und auch mitunter perkussiv hervorgebracht. Der Ambitus öffnet sich ins tiefere Register, große Tonsprünge sind die Folge. Daraus ergibt sich deutlich in der Einstimmigkeit ein Dialog, der vorher bereits in Ansätzen vorhanden war, denn nun ergeben sich im hohen und tiefen Register kreisende Linien. Dies jedoch im schnellen Wechsel, sodass die Linien im hohen und tiefen Register mitunter zerrissen wirken – oder sich gegenseitig kommentieren. Oder ergeben sie doch eine Line, die zwischen den Registern unruhig springt? Diese bewusst gehaltene Spannung zwischen Monolog und Dialog bestimmt gesamten Verlauf dieses Solostücks mit Sogwirkung.
Ein Jahr nach der Entstehung von Breath for Mathilde erhielt Zeynep Gedizlioğlu den Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung. Dabei wurde vor allem hervorgehoben, dass sie in ihrer Musik pointiert Heterogenes herausarbeitet: »Vor diesem Hintergrund verlieren scheinbar elementare musikalische Kategorien wie die der Stimme und der Einstimmigkeit plötzlich den Schein des Selbstverständlichen und eröffnen Horizonte kompositorischer Reflexion und Gestaltung«, so der Musikwissenschaftler Markus Böggemann im Programmbuch anlässlich der Preisverleihung.
Eckhard Weber