Żaneta Rydzewska: under

(2018) 8‘

Das Kammerstück under von Żaneta Rydzewska wurde vom Trio Catch 2018 in Köln uraufgeführt. Das Grundprinzip dieses Werks beruht auf Verfahren des musikalischen Recyclings, auf die Wiederaufbereitung eines fest umrissenen, sparsam dimensionierten musikalischen Ausgangsmaterials. Dies hat die Komponistin im Interview für Ultraschall Berlin erklärt. Solch eine Verarbeitung eines quantitativ fest begrenzten Ausgangsmaterials in unterschiedlichen Ausprägungen ist beispielsweise bei Prozessen in der Biologie und Chemie als geschlossener Kreislauf zu finden. Diese extrem ressourcenschonende Haushaltung in der Natur wäre dringend als Modell für menschliches Wirtschaften zu empfehlen. Żaneta Rydzewska wollte das Prinzip des Recyclings in under an einem im Materialvorrat streng begrenzten Klangmaterial ausprobieren und unterwirft die Ausgangsgestalten zahlreichen subtilen Transformationen.

under beginnt und endet mit einer performativen Komponente, einem kleine Ritual: Die ausführenden Musikerinnen blicken jeweils regungslos nach unten. Als ob sie das musikalische Material am Anfang aus der Tiefe im Wortsinn  heraufbeschwören und am Ende wieder in die Tiefe entlassen würden. Passend zum Titel under, der auf tiefe Schichten verweist. Es könnte sich ebenso um psychologische Tiefenschichten handeln. Tatsächlich gibt es noch ein weiteres Gestaltungsprinzip in under, das aus der Psychologie hinreichend bekannt ist: Psycholog*innen vergleichen die Psyche mit einer Helix. Verhaltensmuster, Obsessionen, womöglich Ängste, treten in bestimmten Abständen wieder aus den Tiefen hervor und wollen betrachtet und verarbeitet werden. In under von Żaneta Rydzewska kehren bestimmte musikalische Gestalten regelmäßig mit leichten Veränderungen wieder.

Das Stück beginnt mit einer insistierenden simultanen Septimreibung im tiefsten Register des Klaviers (Subkontra B und Kontra-As). Die unmittelbar darauf folgenden Aufwärtsgesten von Klarinette, Cello und Klavier scheinen aus diesem vibrierenden Untergrund herauszutreten. Auffällig ist tatsächlich das sparsam disponierte Ausgangsmaterial, in jedem Instrument unterschiedlich: Die Klarinette spielt Glissandi zwischen Sekundintervallen und Trillern, die Aufwärts- und Abwärts-Arpeggien nach sich ziehen. Die Stimme des Cellos bestimmen kurze, heftige Aufschwünge und gekörnte Ruhepunkte. Der Klavierpart schließlich schreitet in resoluten Akkordfolgen in extremen Lagen voran, sowohl im hohen wie im tiefen Register. Im weiteren Verlauf splittern sich die Akkorde in ihre Bestandteile auf. Solche Polarisierungen in den Registern sind charakteristisch für under, genau wie auch verschiedene dissonante Reibungsgrade, die sich abwechseln.

Ein kompositorisches Ausloten vielfältiger ausgeweiteter Spieltechniken sorgt für ein breites Klangspektrum in diesem Transformationsprozess wiederkehrenden Materials. So wird etwa das Cello mit kreisenden Bogenbewegungen gespielt, was  für eine mikrotonale Ausweitung des Tonvorrats sorgt. Zwischendurch werden im Klavierkorpus Saiten gezupft. Im Mittelteil des Stücks kommt auf den Klaviersaiten auch ein E-bow zum Einsatz, jener in der Rockmusik bei E-Gitarren gerne benutzte Tonabnehmer, der durch ein Magnetfeld die Saiten dauerhaft zum Schwingen bringen kann und gleichmäßige Rückkoppelungen hervorruft, die an Sinustöne erinnern. Und noch ein weiteres, ganz praktisches Recycling-Detail ist erwähnenswert bei der Präparierung einiger Klaviersaiten: Zwei Saiten (f2 und ges2) werden mit aus Kunststoff bestehenden Verpackungsbehältnissen der Klarinettenrohrblätter versehen, was einen Klang ergibt, der ein bisschen an ein Cembalo erinnert, »aber als ob es Plastiksaiten hätte«, bemerkt Żaneta Rydzewska im Gespräch für Ultraschall Berlin.

So vielfältig können also die Ausprägungen eines bewusst knapp bemessenen Ausgangsmaterials sein, dabei sehr individuell unterschiedlich in den Instrumenten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass in under die Instrumentenstimmen voneinander isoliert wären. Im Verlauf des Stücks ergeben sich zwischendurch Interaktionen und dabei sogar instrumental-musiktheatrale Momente: So übernimmt etwa die Klarinette kurzfristig die Führungsrolle, die beiden anderen Instrumente ordnen sich unter und ahmen die Bewegungen des Blasinstruments nach. Das Cello wiederum gibt mit langen Notenwerten Impulse zu einer Beruhigung des Geschehens.

Eckhard Weber