Ein Zoom auf den menschlichen Lautapparat ist auch die Kernidee des Stückes behind the apples von Yiran Zhao. Das Wort ›apple‹ assoziiert die 1988 geborene Chinesin mit dem Adamsapfel bzw. dem Kehlkopf des Menschen, der bei der Arbeit mit Stimme nicht nur grundsätzlich das Zentrum bildet, sondern auch ganz konkret im Kontext ihrer Komposition: »Ich verwende«, so die Komponistin, »in diesem Stück Kontaktmikrofone. Jedes der Ensemblemitglieder hat ein eigenes, das direkt auf seinem Hals platziert wird. Auf diese Weise lassen sich stimmliche Geräusche ganz unmittelbar abnehmen und verstärkt wiedergeben. Weitere Kontaktmikrofone setze ich auf die Wangen, hinter die Ohren oder auf Haare und – wenn vorhanden – Bärte der Sänger. So können verschiedene Rausch- und Reibeklänge entstehen, und auch das Aufeinanderbeißen der Zähne wird hörbar.«
Yiran Zhao ist keine Komponistin, der es hauptsächlich darum geht, virtuosen Output zu generieren. Im Gegenteil: Sie ist eine beobachtende und forschende Komponistin, die – bevor sie mit ihrer künstlerischen Arbeit beginnt – oft sehr lange hinhört, was um sie herum passiert. Dabei kommt sie den Dingen mikroskopierend nah – eine aufmerksame Haltung, die sie auf Ideen bringt, die ebenso fern wie nahe zu liegen scheinen. So hat sie beispielsweise 2015 ein Stück komponiert, dessen gedankliches Prinzip mit dem von behind the apples verwandt ist: In SHH I bespielt ein Soloschlagzeuger, streng nach Partitur, einen einzelnen Publikumskopf mit seinen Händen. Mit sanften Bewegungen werden Haar und Ohren des Zuschauers betastet. Durch die eigene Schädelresonanz werden die Klänge verstärkt, womit die Musik buchstäblich im Kopf des Hörers stattfindet.
»Das Arbeiten an und mit dem Körper fasziniert mich schon lange«, sagt Yiran Zhao, »und gerade bei den Stimmen der Neuen Vocalsolisten gibt es etliches zu entdecken: feines Rauschen, Flüstern, Singen – alle möglichen Geräusche, die sowohl über den Schall in der Luft übertragen werden können, als auch unmittelbar über die Haut am Hals bis hin zur Oberseite des Kopfes.«
Leonie Reineke