Die Langeweile ist keine Erfindung der Moderne – und doch scheint sie in besonderer Weise mit ihr verknüpft. Baudelaires ›ennui‹ stand am Anfang, und je stärker die ›entfremdete Arbeit‹ zu einer ›entfremdeten Existenz‹ sich ausweitete, desto mehr wurde die Langeweile nicht mehr nur ein temporäres Phänomen, sondern ein existenzielles Problem, eine Signatur der Zeitläufte. In seiner Antrittsvorlesung an der Freiburger Universität widmete Martin Heidegger der Langeweile eine eingehende Untersuchung. Drei Formen der Langeweile unterschied er, die dritte nannte er die ›tiefe Langeweile‹. Diese ›tiefe Langeweile‹ entsteht nicht durch äußere Faktoren, sondern ist ein existenzieller Zustand, ein Zurückgeworfensein des Menschen auf sein Innerstes. »Die tiefe Langeweile langweilt dann, wenn wir sagen, oder besser, wenn wir es schweigend wissen: es ist einem langweilig.« Nicht nur für Philosophen und Psychologen, auch für Künstler ist die Langeweile ein ausgesprochen ergiebiges, wenngleich durchaus heikles Thema. Yair Klartag, Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD, hat sich mit Heideggers ›tiefer Langeweile‹ kompositorisch auseinandergesetzt. Yair Klartag hat einen Hang zum Paradoxen. Werktitel wie Nothing to express oder There Is No Lack of Void behaupten (ästhetische) Defizite, die vom Komponisten durch seine Musik dementiert werden. Auch in Fragments of Profound Boredom versucht er, das Thema ›Langeweile‹ nicht nur diskursiv einzuhegen, sondern – auf paradoxe, weil eben nicht-langweilige Art – ästhetisch erfahrbar zu machen. Es geht ihm darum, »jener Langeweile Ausdruck zu verleihen, die unter der alltäglichen, provisorischen Langeweile liegt, der Bedeutungslosigkeit, die unserem scheinbar ausufernden Aktivismus zugrunde liegt, aber auch den Verlauf einer ›tiefen Langeweile‹ zu beobachten und zu erkunden, wie die Wahrnehmung der Zeit und ihr Vergehen dadurch beeinflusst werden.« Und das ist ein Thema, das sich als geheimer roter Faden durch das Festival zieht und einige Stunden später auch im Konzert des Ensemble ascolta wieder aufgenommen werden wird.
Rainer Pöllmann