»Ich habe beschlossen, die Kunst zu verraten, um den Gipfel der Erkenntnis zu erreichen.«
Das Motto, das Trond Reinholdtsen seinem Musiktheater voranstellt und das im Verlauf der Performance auch als Sprachsample aus einerTrommel tönt, ist eines der vielen Indizien für den künstlerischen Größenwahn, den der Norweger zum Thema dieses ›Opra‹ erklärt. Seit 2009 hat sich Reinholdtsen dem Gesamtkunstwerk verschrieben, oder – mit seinen Worten – der »Geburt des Opra durch die Krise der zeitgenössischen Musik«. Seit dem Präludium Fitzcarraldo sind rund ein Dutzend Produktionen über die Osloer Bühne gegangen, in denen die großen Sujets der menschlichen Existenz und damit auch die großen Fragen der Kunst verhandelt werden. Der Osloer Komponist und Gesamtkünstler brachte Orpheus, die Apokalypse, die Utopie, Faust und Narziss auf die Bühne, teils unter konsequenter Nichtbeachtung der Gattungskonventionen.
Der Titel Inferno ist August Strindbergs gleichnamigem, autobiographischem Krisenroman entliehen. Der Schriftsteller schildert darin seine Beschäftigung mit Alchimie und Okkultismus, aber auch seinen Verfolgungswahn. Strindberg war unter anderem von der Vorstellung besessen, seine Feinde griffen ihn mit Höllenmaschinen an. In Reinholdtsens Inferno ist es der Schlagzeuger, der dem höllischen Spiel seiner vollautomatisierten Trommeln hilflos ausgeliefert ist.
Zwar setzt er die Soli mit einem kurzen Schlag in Gang, auf die Ereignisse hat er jedoch keinen Einfluss. Der entfremdete Arbeiter ohne Ideale, Überzeugungen und Ziele ist zum Zuschauen und Zuhören verdammt. Im Mittelpunkt dieses Gesamtkunstwerks steht die Frage nach Woher und Wohin, nach dem Ursprung und der Zukunft der Musik. Die Szenen handeln vom ersten bewusst erlebten Ton, von der ersten Verbindung zweier Klänge, der ersten musikalischen Gestalt. Trond Reinholdtsen inszeniert sich als künstlerischer Scharlatan in schlechter Verkleidung, als ewiger Affe, der den Meistersingern lauscht, während er in der Küche des 21. Jahrhunderts glibberigen Eierbrei anrührt. Die Sehnsucht nach Erkenntnis ist das zentrale Motiv dieses Opra. Seit den Anfängen der Kunst in der Steinzeithöhle ist ihr der Affenmensch offenbar noch nicht viel näher gekommen.
Martina Seeber