Die gleiche Besetzung wie Xilin Wang in seinem Quartett – Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier – hat auch Toshio Hosokawa für sein Werk Stunden-Blumen gewählt. Bei Hosokawa, 1955 in Hiroshima geboren, stellt diese Besetzung einen direkten Bezug zu Olivier Messiaens während des Zweiten Weltkriegs entstandenem Quatuor de la fin du temps dar. Hosokawa komponierte Stunden-Blumen ausdrücklich als »Hommage an Olivier Messiaen« für ein Gedenkkonzert anlässlich des 100. Geburtstags des französischen Komponisten 2008 beim Lucerne Festival. Stehen bei Messiaen der Werktitel und auch einige Überschriften der Sätze in einem Zusammenhang zur biblischen Apokalypse, zum »Ende der Welt«, wie sie in der Offenbarung des Johannes geschildert wird, so setzt der Japaner Hosokawa dem fernen Vorbild eine dezidiert japanische Sicht des Werdens und Vergehens in Form von Blüten entgegen. Auf Traditionen seiner Vorfahren hatte ihn einst in Berlin an der Hochschule der Künste sein Lehrer Isang Yun hingewiesen. Und – ebenfalls erkennbar in Stunden-Blumen – auf die große Bedeutung des einzelnen Klangereignisses, des einzelnen Tons, in der ostasiatischen Musik.
„Ideale Musik ist für mich wie Naturgeräusch. Für mich ist Natur sehr wichtig“, hat Hosokawa später einmal in einem Interview geäußert. In diesem Zusammenhang betonte er auch, dass sich dies im japanischen Denken nicht vordergründig auf bloße Naturbeobachtung beschränke. Das Erblühen und Verwelken einer Blüte schließt das Selbst des Menschen mit ein, ebenso wie das, was hinter dem Sichtbaren steht. In Stunden-Blumen wird diese Vorstellung als Klang entfaltet: Aus dem Nichts entsteht der Klang, zunächst statisch, allmählich gestaltet er sich zunehmend bewegter, er wird breiter und differenziert sich immer stärker aus im Zuge einer langsam sich vollziehenden Steigerung. Am Punkt der größten Intensität wird der allmähliche Weg ins Verhallen beschritten, auch wenn einzelne Figuren ephemer noch markant hervortreten. „Musik ist der Ort, an dem sich Töne und Schweigen begegnen“, das ist die Überzeugung von Toshio Hosokawa.
Eckhard Weber