Christian Dierstein, langjähriges Mitglied von ensemble recherche an den Schlaginstrumenten, im Interview für Ultraschall Berlin 2025
Christian Dierstein, was bedeutet ensemble recherche für Sie?
Für mich ist das ensemble recherche seit 37 Jahren mein musikalisches Zuhause. Immer wieder will und muss sich das Ensemble neu erfinden. Das ist oft herausfordernd, aber damit die Gruppe keinen musealen Staub ansetzt, ist diese stetige Erneuerung wesentlich.
Wie würden Sie, nach all den Jahren, den besonderen Charakter von ensemble recherche beschreiben?
Unsere Stärke ist sicherlich das kammermusikalische Arbeiten ohne Dirigent:in. Das erfordert eine sehr intensive Auseinandersetzung mit der Musik des 20 /21. Jahrhunderts. Musikalisch wie organisatorisch ist uns dieser basisdemokratische Ansatz immer noch enorm wichtig, wohlwissend, dass diese Arbeitsweise zeitaufwendiger und diskussionsreicher ist.
Wie hat sich ensemble recherche in den letzten 40 Jahren entwickelt? Was ist heute anders als früher?
Stilistisch ist ensemble recherche inzwischen breiter aufgestellt. Performance und Improvisation sind genauso Teil der musikalischen Arbeit geworden wie Projektentwicklungen zu gesellschaftlich relevanten Themen. Durch einen geführten Generationswechsel denken wir, dass wir die Weichen gut stellen, damit der recherche-Zug weiterfährt.
Worauf sind Sie besonders stolz?
Ein Ausweichmanöver … Dummheit und Stolz sind aus dem gleichen Holz …
Aus welchen Gründen haben Sie für das Jubiläumskonzert bei Ultraschall Berlin 2025 diese besondere Zusammenstellung an Komponist:innen und Stücken gewählt?
Enno Poppes Laub ist ein Meisterwerk der Kammermusik. Mit feinen Nuancen und auch schroffen Brüchen schafft er aus kleinen Keimzellen ein dichtes fortlaufendes Spannungsnetz, das die Zuhörer:innen in einen ungeheuren Sog zieht. Er schreibt: „Ich bin ja insgesamt obsessiv mit Variationen. In Laub ist jeder Takt eine Variation des vorhergehenden Takts. So entsteht eine Art ‚Stille Post‘, bei der sich die Musik komplett verändert, ohne dass man sagen könnte, an welcher Stelle diese Veränderung stattgefunden hat“.
Zwei Deutsche Erstaufführungen ergänzen das Programm: Katherine Balchs Musik arbeitet mit dem Zauber von Alltagsgeräuschen, indem sie das Publikum in eine fantasievolle, stilistisch vielfältige Klangwelt einlädt. Musica Spolia hat sie in Rom geschrieben. Die Pastellfarben der Stadt erinnerten sie an die Wüste vor ihrem Haus in Kalifornien ihrer Kindheit. Sie schreibt, das Werk „versucht, den Unfug, die Verspieltheit und die mikrokosmische Welterschaffung der Kindheit einzufangen“. Auch Malin Bång setzt sich in inuti mit unserem Alltag auseinander. Der digitalen Beschleunigung hochkommerzieller Plattformen setzt sie den Tastsinn und das Interagieren der Sinne entgegen. Das Material aller Instrumente und Klangobjekte besteht aus Holz, und spielerisch wird in diesem Stück das klangliche Potenzial erforscht.
Und was wünschen Sie sich für ensemble recherche in der Zukunft?
Einen gesicherten (finanziellen) Rahmen, in dem wir weiter mutige Projekte umsetzen können.
(Interview: Ecki Ramón Weber)