Ein europäischer Künstler des 21. Jahrhunderts: Steingrimur Rohloff spricht Isländisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Dänisch und Schwedisch. Er ist mit den Musikszenen in Skandinavien genauso wie jenen in Frankreich und in Deutschland vertraut. Der deutsch-isländische Komponist, 1971 in Reykjavik geboren, aufgewachsen bei Hannover, hat in Köln und Paris Komposition und elekronische Musik studiert. Er spielt Klavier und Schlagzeug und erhielt Gesangsunterricht. Sein Schaffen umfasst ein weites Panorama von Musiktheater bis Kammermusik, von Einflüssen aus der Spektralmusik bis zur Elektronik, von Aspekten von Raummusik bis zur individuellen Auseinandersetzung mit Positionen aus der Musikgeschichte. Heute lebt er in Kopenhagen.
Sein neues Ensemblewerk Stresstest, das er für das Ensemble LUX:NM komponiert hat, bezeichnet er im Interview für Ultraschall Berlin als „sehr lustvolles, tatsächlich musikmachendes, dabei an die Grenzen gehendes Stück“. Nicht von ungefähr hat Steingrimur Rohloff seinem Werk den Titel Stresstest gegeben: „Er drückt meine Sorge aus, ob das Stück ohne Dirigent zu spielen ist. Mit diesem Super-Ensemble geht es aber natürlich schon“, so der Komponist zuversichtlich. Schließlich hat er schon 2015 sein Stück Close Relatives für LUX:NM geschrieben.
Bei Stresstest hat Stingrimmur Rohloff eine spezifische Klangvorstellung geleitet: „Ein bisschen trägt hier der Gedanke einer modernen ‚Big Band‘ das Stück“, erklärt der Komponist, „die Bläser sind fast immer chorisch, akkordisch in einem rhythmischen Unisono. Ästhetisch gemahnt es aber eher an eine – was das Zusammenspiel angeht – schwierige Etüde. Vielleicht ist dies aber einfach ‚Tanzmusik‘, wie ich sie gerne hätte.“
Vor allem die untrügliche Rhythmus-Expertise von LUX:NM kann hier unter Beweis gestellt werden, denn in der rhythmischen Ausgestaltung innerhalb des Ensembles stellt das Stück eine enorme Herausforderung dar, wie Steingrimur Rohloff ausführt: „Oft ist eine rhythmische Überlagerung in zwei unterschiedlichen Patterns Grundlage für einen komplexen Clash des Ensembles, welches diesen – aufgeteilt in zwei Gruppen – ausführt.“ Aber auch beim furiosen gemeinsamen Pulsieren des Ensembles wird es nicht leichter. So treten in der Mitte zwischendurch schnelle Figuren wie Morsezeichen im Vibraphon, Klavier, Akkordeon und Cello auf. Sie erfordern ein maschinenhaft präzises Zusammenspiel, wie auch die kompakte Rhythmusfelder im Schlagzeug, Klavier, Akkordeon und Cello, die synkron getaktet sind. Ein untrügliches Rhythmusgespür von allen Ensemblemitgliedern ist auch für die treibenden Läufe mit unregelmäßigen kurzen Pausen in einigen Passagen nötig.
Doch nicht nur das weitgehend kompakte Zusammenspiel erweist sich als komplex, auch die einzelnen Instrumente haben anspruchsvolle Passagen zu bewältigen: Da gibt es rasante Läufe in den Blasinstrumenten oder kurze, von kurzen Pausen durchtaktete Patterns die jeweils minutiös genau einsetzen müssen, um die erwünschte Pulsierung zu erreichen. In der Partie des Altsaxophons stehen außerdem eine Reihe an Multiphonics und Flatterzungen mit den typischen knallenden Akzenten als einige der ausgeweiteten Spieltechniken. Im Klavier sind schnelle Akkordprogressionen und mitunter Akkordschichtungen gefragt und im Akkordeon pulsierende Patterns in vertrackten Rhythmen. Im Schlagzeug finden sich wiederum komplexe rhythmische Gebilde. Doppelgriffe sind schließlich im Cello zu spielen. Alles in allem stellt dieser Stresstest eine wahre Tour de Force dar, eine gemeinsame Kraftanstrengung, die gleichermaßen höchste Konzentration und den Rausch entfesselter Energien erfordert. Also die Quadratur des Kreises.
Eckhard Weber