Soma ist das griechische Wort für „Körper“. Stefan Keller betrachtet es als eine der grundlegenden Erfahrungen in der Musik, dass man seinen eigenen Körper spürt. Wer jemals ein Violoncello in den Händen gehalten oder eine tiefe Trommel gespielt hat, dürfte dem spontan zustimmen. Aber selbst wenn man als Hörer neben einem klingenden Kontrabass oder einer Tuba steht, merkt man die körperliche Wirkung der Schallwellen am eigenen Körper. Doch für Stefan Keller geht dies noch weiter. Mit „Körperlichkeit“ meint er etwas, was vielmehr impliziert als die bloße Klangfarbe eines Instruments: „Ich finde, dass der Klang etwas mit dem Hörer auf einer körperlichen Ebene macht: Konsonanz, Dissonanz, Dichte des Klangs, die Art der Klangerzeugung je nach Instrument, sei es unter großer Anspannung oder nicht, die Materialität des Instruments, der Zustand des Spielers – das alles beeinflusst, was wir körperlich empfinden während des Hörens“, erläutert er dies im Interview für Ultraschall Berlin. Die Kommunikation über Klang reicht insofern weiter als ein bloßes intellektuelles oder emotionales Erfassen des Gespielten.
Soma oder Die Lust am Fallenlassen hat Stefan Keller für die gesamte Besetzung des Zaafran Ensemble geschrieben. Erneut spielt das Schlagzeug eine wichtige Rolle, als Rückgrat für eine durchgehende, sich sukzessive entwickelnde Rhythmusveränderung: Über Einflüsse aus den komplexen Marschrhythmen aus der Tradition der Basler Fasnacht mit ihren Tambour-Gruppen, die mit Basler Trommeln durch die Stadt ziehen, geht es beispielsweise über Jazzanklänge zu Wirkungen aus der Drum and Bass-Musik, die seit Anfang der 1990er aus der elektronischen Musik der Clubs entstanden ist. Die übrigen Instrumente werden in diesen rhythmischen Sog gezogen und erweitern auf diese Weise die Impulse des Schlagzeugs. Sie geben den Rhythmen aufgrund ihrer eigenen spezifischen Spieltechniken und ihrer Klanglichkeit eine jeweils neue Gestalt. Vor allem wegen ihrer differenzierten harmonischen und melodischen Möglichkeiten sind die Melodie- und Harmonieinstrumente für die Ausprägung fließender Übergänge zwischen den unterschiedlichen Rhythmusmodellen wichtig. Das Ergebnis dieses Zusammenwirkens ist die Entfaltung einer rhythmischen Sogwirkung, in der sich die einzelnen Instrumente des Ensembles fallenlassen. „Es ist ein lustvolles Fallenlassen, wie dies beispielsweise kleine Kinder erleben, wenn sie die Gravitationskraft der Erde entdecken, ein beglückendes Einlassen“, sagt Stefan Keller. Dass diese Sogwirkung sogar mit rhythmisch eher freien, von Glissando-Bewegungen geprägten Passagen intensiviert wird, ist eine spannende, geradezu dialektische Wechselwirkung in den rhythmischen Gegebenheiten dieses Stücks. Die Hörer dieser Musik dürften selbst auf ihren Stühlen im Konzertraum diesen Sog der Bewegung, dieser Lust am Fallenlassen, spüren.
Eckhard Weber