Stefan Keller wurde 1974 in Zürich geboren, studierte in seiner Heimatstadt, in Utrecht, am IRCAM in Paris und bei Hanspeter Kyburz an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. Hier ist Stefan Keller seit 2006 Lehrbeauftragter für Musiktheorie und Analyse Neuer Musik. Außerdem hat er sich intensiv mit indischer Musik beschäftigt und das Tabla-Spiel erlernt. Diese Erfahrung bestimmt nicht unwesentlich sein musikalisches Denken: Rhythmus-Phänomene stehen oft im Zentrum des Interesses von Stefan Kellers Komponieren. „Rhythmus wird ja in der Neuen Musik nicht selten primär als eine Angelegenheit von Zeitdauern angesehen“, stellt er im Interview für Ultraschall Berlin fest, „aber Rhythmus ist etwas Körperliches und nicht zu trennen von der Körperlichkeit der Klänge.“ Gerade bei der indischen Tabla, die im Gegensatz zu vielen anderen Trommeln mit den Fingern gespielt wird, geht es um ein dynamisches Zusammenwirken, ein Ineinandergreifen der einzelnen Rhythmusimpulse und nicht um voneinander abgetrennte zeitliche Einheiten.
Diese Dynamik im Rhythmus ist auch bei der Spieltechnik der Bongos oder Congas aus der Musiktradition Kubas, wie sie etwa bei Son oder Salsa eingesetzt werden, zu beobachten. Der Begriff Martillo bezeichnet ein Basis-Pattern, ein grundlegendes Rhythmusmodell, beim Spiel der Bongos. Hierbei spielt die Klanglichkeit eine bedeutende Rolle, denn die Bongo-Trommeln werden an verschiedenen Stellen auf jeweils unterschiedliche Weise angeschlagen, etwa mit Handballen oder Fingerkuppen. „Es werden verschiedene Klanglichkeiten erzeugt bei diesen Spieltechniken. Die Hände beeinflussen sich gegenseitig, weil etwa eine Hand noch auf dem Fell liegt, um die Resonanz des nächsten Schlags abzudämpfen. Das ist ein komplexes Gebilde“, erklärt Stefan Keller. Dieser Martillo, mit seiner auf das Bongo-Paar verteilten gegenrhythmischen und klanglich verschieden gefärbten Struktur, stellt eine der Keimzellen für Stefan Kellers Komposition Hammer dar. Darauf bezieht sich auch der Titel seines Stücks: Hammer ist die deutsche Entsprechung des spanischen Wortes martillo. Diese Spieltechnik wird in Hammer auf das Schlagzeug, bestehend aus Bongos, Hi-Hat und drei Tomtoms, übertragen. Das Grundmodell des martillo zieht sich im Schlagzeug in verschiedenen Abwandlungen durch das gesamte Stück. Doch mitunter übernehmen auch Saxophon und Klavier Funktionen als rhythmische Impulsgeber. Beim Klavier wird der partielle Einsatz als Perkussionsinstrument noch durch eine entsprechende Präparation unterstrichen: Die Klaviersaiten des Mittelregisters werden passagenweise mit Filzband und Gewichten dergestalt gedämpft, dass das Schlagen der Klavierhämmer deutlich hervortritt. Klavier und Saxophone wechseln zwischen melodischen und rhythmischen Aufgaben und nähern sich somit phasenweise dem Schlagzeug an. Insofern wird in Hammer das Verhältnis zwischen Rhythmus und Melodie anhand der Vertreter dreier Instrumentenfamilien verhandelt, mit einer Rhythmusgruppe, mit einem Melodieinstrument und einem Tasteninstrument. Hammer wurde im Juni 2015 vom Ensemble Werktag im schweizerischen Biel uraufgeführt.
Eckhard Weber