Was ist im Jahr 2019 über das Streichquartett noch nicht gesagt? Was lässt sich einer derart traditionsbeladenen Gattung noch hinzufügen? Sollte man sich an diese Königsdisziplin der neuen Kammermusik überhaupt noch heranwagen? Oder ist es für einen jungen Musikschaffenden nicht leichter, den Versuch einer Neukomposition schlicht zu verweigern, anstatt womöglich zu scheitern? Vor diese Problematik sind Komponisten der Gegenwart immer wieder gestellt. Und letztlich gehen viele von ihnen doch auf Konfrontationskurs: Respektvoll, aber couragiert stellen sie sich der (vermeintlich utopischen) Aufgabe, Musik zu komponieren, die auf dem ausgiebig beackerten Feld des Streichquartetts noch Signifikanz besitzt.
Ein Ausweg aus dem Dilemma des ›bereits Gesagten‹ kann das Erweitern des Quartetts um zusätzliche künstlerische Aspekte sein. So arbeitet etwa die gebürtige Israelin Sivan Eldar in ihrer Komposition Solicitations, die sie für das in Paris ansässige Quatuor Diotima geschrieben hat, mit einer Lichtchoreografie. Gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Aurélie Lemaignen entwickelte sie ein szenografisches Konzept, das sowohl die Bewegungen der Musiker als auch ihre Sicht- bzw. Unsichtbarkeit durch punktuelle Beleuchtungen und Dunkelheit auf der Bühne zu musikalischem Material erklärt.
»Meine Idee war es«, so Sivan Eldar, »bestimmte Bereiche der Körper einzelner Spieler und ihrer Instrumente durch Licht zu fokussieren. Auf diese Weise kann ich eine ›gelenkte‹ Dramaturgie des Hörens erzielen.« Im Verlauf des Stückes spielen die Musiker in unterschiedlichen Konstellationen miteinander: in Soli, Duos, Trios und auch im Quartett. Wie in einer Gesprächsrunde tauschen sie Gesten und Blicke (statt Worte) aus. Auf diese Weise lässt die Komponistin das Kammerkonzert zur halbszenischen Bühnenperformance werden. »Es geht mir um Kommunikation und Aufmerksamkeit füreinander. Ich meine damit weniger die Kommunikation mit dem Publikum als vielmehr die Beziehungen der Musiker untereinander. Wer schaut wen in welchem Augenblick an? Wer spielt in wessen Richtung? Ich wollte also hier alle möglichen dialogischen Aktionen, die ohnehin zum Musikmachen dazugehören, stärker betonen, als es normalerweise üblich ist.«
Leonie Reineke