Für den 1978 in der bei Triest liegenden Stadt Latisana geborenen Komponisten Simone Movio war die Begegnung mit dem Schaffen Beat Furrers nachhaltig prägend. Simione Movio war nach eigenem Bekunden beim ersten Kennenlernen von Beat Furrers Musik »richtiggehend schockiert« – und derart beeindruckt, dass er schließlich bei ihm in Graz studierte. Sein Stück Incanto XI hat Simone Movio 2015 für das venezianische Ex Novo Ensemble komponiert. Die Besetzung von Incanto XI umfasst ein Quartett aus zwei Holzblasinstrumenten und zwei Streichern: Flöte, Klarinette, Violine und Cello. Die Komposition gehört zu einer bislang auf fünfzehn Stücke angewachsenen Werkreihe, in der Simone Movio mit verschiedenen Besetzungen und mit unterschiedlichen musikalischen Annäherungen eine spezifische Idee verfolgt. Diese deutet der Werktitel an: Im Italienischen bedeutet Incanto »Zauber«, »Zauberei«, »magische Beschwörung«. In einem Interview, das im Rahmen eines Residenzprogramms in Wien entstand, sagte Simone Movio 2018 über seine Werkreihe: »Incanti beziehen sich auf den Zustand, den man beim Musikhören haben soll, also offen zu sein. Für mich muss ein Stück auch von Innen erforscht werden, das nach Außen hin ist nur das Medium, das hat auch mit Kontemplation zu tun.«
Simone Movio ist es wichtig, dass seine Musik die Zuhörenden einlädt, sich zu fokussieren und sich konzentriert auf die Klänge einzulassen. »Die Dimension des Zaubers ist der Pfad der Kontemplation, der es ermöglicht, das innere Bild aus der sie umgebende Tunika zu enthüllen«, heißt es in einem Werkkommentar zu Incanto XI. Dies ist der Kern von Movios kompositorischer Perspektive. In einem Essay für die CD-Veröffentlichung mit Werken von Simone Movio, die im Zuge der Verleihung des Komponisten-Förderpreises der Ernst von Siemens Stiftung an ihn 2014 erschienen ist, hat der Kasseler Musikwissenschaftler Markus Böggemann über das Schaffen Simone Movios ausgeführt: »Seine Musik ist zugleich Haut und Hülle, Innen und Außen, in ihr staffeln sich minutiös ziselierte Oberflächen, überlagern sich zarteste Klangtexturen und bilden ein raffiniertes Gewebe sich wiederholender Elemente, dessen Faltenwurf einen namenlosen, verschwiegenen Kern zu umgeben scheint.« Simone Movio selbst spricht im Zusammenhang mit seinem Incanto-Zyklus von einer »Art traumhafter Verzauberung: zugleich unschuldig und angespannt«. Deshalb liegen auch prozessuale Entwicklungen nicht im Interesse seines Komponierens. Es geht nicht um das Ausstellen fest umrissener melodischer Gesten, auftrumpfender rhythmischer Ballungen oder harmonischer Reize. Das künstlerische Ego scheint hier in den Hintergrund zu treten. Diese Musik drängt sich nicht auf, sondern will erkundet werden. Stattdessen prägen Simone Movios Stück kurze Partikel, Patterns, Klangfelder, dezente Figuren, subtile Veränderungen in einem tönenden Feld oder einem ruhigen Strömen, Wellenbewegungen, Spannung, Entspannung, hin und wieder kleine Ausbrüche einzelner oder mehrer Instrumente, gefolgt von Rückzügen und Innehalten. Der Reichtum dieser Musik zeigt sich auf diese Weise in den Tiefenschichten, die ihre Schätze beim konzentrierten Hören preisgeben.
Eckhard Weber